Erinnert man sich beim Aufwachen an seine Träume, ergeben Bilder und Gefühle oft eine seltsame, rätselhafte Szenerie. Es sind Versatzstücke aus dem eigenen Erleben, die im Träumen ein Eigenleben führen. Erzählt man das Geträumte nach, erscheint die „Story“ meist wirr, weil die im Traum aneinander gereihten Bilder nicht dem Prinzip des Logischen unterliegen.

#12

Es gibt Tagträume, Wunschträume, Nachtträume, Alpträume. Worum es dabei immer geht, ist, dass Dinge, Geschehnisse – bewusst oder unbewusst – zusammen gedacht werden, die es in Wirklichkeit so nicht oder so noch nicht gibt. Sie sind der Wirklichkeit, dem aktuellen Realen entrückt und – was die Nachtträume anbelangt – ziemlich rätselhaft. Wenn man sich an einen Traum erinnert, fragt man sich oft, was man da zusammen geträumt hat; man sucht nach einem „Woher“ und „Warum“, man frag nach einem Sinn des scheinbar Unsinnigen, denn im Nacherzählen erscheint der Traum oft wirr. Man sucht nach Bedeutung, meist ohne eine Deutung zu finden.

Grundlage für die Auswahl der in der Ausstellung präsentierten Werke ist ein Bezug zwischen dem Bilder-Denken im Traum und dem Hervorbringen von Vorstellungsbildern in der Kunst. Die Exponate der Ausstellung sind keine „gemalten Träume“; es sind keine Versuche, Traumerlebnisse zu reproduzieren. Auch die mittelbare Darstellung von Träumen, die auf der Erzählung oder auf textlicher Überlieferung von Traumgeschehen gründet, spielt bei den ausgewählten Arbeiten keine Rolle. Die Werke wurden aufgrund ihrer Verwandtschaft zum Träumen als Bilder-Denken ausgewählt, das verschiedene Dinge zusammen setzen kann und dabei keiner Zeitgebundenheit, keiner Logik und inneren Folgerichtigkeit unterliegt. Sie stellen Bildwelten vor, die motivische, bildnerische Elemente – Versatzstücke des Erinnerns und Erlebens – in freier, poetischer Weise zusammen führen und dabei eigene Bildwelten aufbauen. Gesichtspunkte der Bedeutung und Deutbarkeit der bildlichen Zusammenhänge bleiben dabei – im Bild wie im Traum – meist offen, in der Schwebe.

#Rundgang

Erdgeschoss

Die aktuelle Auswahl von Werken der Sammlung Alison und Peter W. Klein breitet in bildlichen Landschafts- und Bühnenräumen Szenarien des Rätselhaften und Geheimnisvollen aus. Beim Hereinkommen treffen die Besucher auf ein Gemälde der aus Moskau stammenden und in Berlin lebenden Künstlerin Inna Artemova. Ihre Arbeiten kombinieren architektonische Motive, die sich im Malerischen auflösen, mit figurativen. In der Gegenwart wahrgenommene Gebäude lassen – in Erinnerungsblitzen – Szenen des Lebens in früheren Zeiten auftauchen. In Vergangenheit und Gegenwart Getrenntes kommt in ihren Bildern zusammen.

EBENE 1

Im nächsten Stock begegnet man einer Reihe von Werken des Berliner Künstlers Michael Wutz aus den Jahren 2010 bis 2013. Gezeichnete Schädel und Gebeine, die sein Werk kennzeichnen, gehören nicht nur zum Reich des Morbiden. Mit seiner akribischen Arbeitsweise verführt Michael Wutz zum genauen Betrachten. In der Zeichnung mit Motivinseln auf weißem Grund sind Zeichner, Forscher zu finden, die, wie Archäologen einen Fund dokumentieren. Der Künstler selbst erkundet in Ethnologie, Kunst- und Kulturgeschichte Spuren seiner bildlichen Motive Schädel und Gebeine, wie zum Beispiel die Geschichte des Schädelbaums von Yimpang in Indien, der in der Kultur der Naga eine Verbindung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, zwischen den Lebenden und den mythischen Ahnen herstellen soll. Aber auch Bezüge zur christlichen Ikonografie sind zu erkennen. Bei einer Zeichnung denkt man an den Ort der Kreuzigung Jesu, an „Golgatha“, bei einer anderen an das leere Grab, und weiter an den „Jüngsten Tag“. So liegt auch in den großen, bildnerisch höchst komplexen Panoramen nicht nur ein apokalyptischer Charakter; sie schließen den Aspekt der Gegenwart und des beginnenden Neuen ein.

Der Sternenhimmel im dreiteiligen Bild von Brigitte Waldach hingegen lässt nur auf den ersten Blick die Phantasie ins Weite schweifen. Mit der Sternenkonstellation vom 9. Mai 1976 thematisiert sie die Stunden vor dem Tod der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof. Die schemenhaft erkennbare liegende Figur zitiert das Polizeifoto, das auch Gerhard Richter in seinem Bilderzyklus verwendet hat. Die im Himmel eingeschriebenen Begriffe spiegeln die Biografie von Ulrike Meinhof und die zunehmende Radikalisierung einer politischen Utopie.

Die Videoarbeit von Lucas Davidson bringt die eigene Identität fast wörtlich in die Schwebe zwischen Sein und Vergänglichkeit. Von einem fotografischen Selbstporträt löst er die bildtragende Schicht ab und lässt sie in Wasser schwimmen. Im fast magischen Tanz des Bildschleiers tauchen immer wieder und nur vorübergehend Fragmente des Figürlichen, Leiblichen auf.

EBENE 2

Im zweiten Stock führen die in altmeisterlicher Weise gemalten Bilder von Moritz Baumgartl aus Stuttgart in eine real-surreale Welt mit bühnenartigen Bildräumen, deren Flächen sich dem Betrachter erst einmal entgegenstellen. Gelingt es in der Vorstellung, diese zu überwinden und gedanklich in den Raum einzutreten, fragt man sich zwischen Militärfahrzeugen und Bomben, beobachtet von Vertretern / Statisten kirchlicher und weltlicher Macht, ob man sich dort überhaupt befinden will.

Daran anschließend und die gesamte Ausstellungswand im Unterzug des zweiten Geschosses umlaufend bringen die Werke von David Lowe, Maik Wolf, Ola Billgren und Allen Anthony Hansen Landschaften vor Augen, die der Wirklichkeit entrückt sind und surreale Elemente oder Charaktere der „schwarzen Romantik“, des Schauerlichen enthalten. Die Landschaften sind an den Außenwänden des Unterzugs umgeben von meist figürlichen Werken mit surrealen, märchenhaften und symbolistischen Inhalten, so auf der einen Seite die Fotografien von Dominic Rouse und Jerry Uelsmann, von dem auch das Titelbild der Ausstellung stammt. Auf der anderen Seite der große, mit dem Skalpell herausgearbeitete Scherenschnitt von Charlotte McGowan-Griffin, im Anschluss daran die Aktfotografien mit ihren verblüffenden Perspektiven von Arno Minkkinen. Drei Wesen finden im „Wolfsschafspriester“ von Deborah Sengl und Ingo Pertramer zusammen. Und schließlich taucht der Wolf als Tier der Märchen- und Mythenwelt nochmals im Gemälde von Sabina Sakoh auf, das sich mit vielfältigen mythologischen und allegorischen Anspielungen als symbolistisches Bild erweist.

Die gerade angeführten Arbeiten haben deutlich erzählerische Qualitäten, man vermutet beim Betrachten eine „Geschichte“, ohne dass sie vollständig erkennbar bzw. offen gelegt wird.

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Haengung #12 - Installationsansicht

Ähnlich ist es auch bei dem in Ludwigsburg lebenden Künstler Jörg Mandernach. Er hat eigens für die Ausstellung eine Installation mit dem Titel Der Traum vom Verklingen des Raums zwischen Bild und Bedeutung an und vor der Hauptwand des zweiten Obergeschosses realisiert. Mit surrealistischen Mensch-Tier-Wesen, mit Dimensionsverschiebungen, mit Bild- und Schriftzeichen, die mit dem Entziffern von Bedeutung und dem Nicht-Entzifferbaren spielen, steht seine Installation programmatisch für das Thema des Welten träumens. Das bildnerische Material, das seinem Schaffen zugrunde liegt, besteht aus tagebuchartigen Notaten, die eng mit dem eigenen Erleben verbunden sind. Andererseits kommen medial vermittelte Bilder wie Ausschnitte aus Zeitschriften und Zeitungen, aber auch Worte und Texte hinzu. Das Disparate, das ausschnitthaft notierte Erlebte und das Fremde fließen zusammen in einem neuen, poetischen Eigenen.

EBENE 3

Im dritten Obergeschoss tritt das Erzählerische weitestgehend zurück. Mit Verfremdungseffekten und Motivüberlagerungen führen die Arbeiten von Ralph Brueck und Bettina Krieg an die Grenzen inhaltlicher Lesbarkeit und verweisen die Wahrnehmung damit auf eigene Vorstellungsräume. Die Fotografien von Mayumi Terada und Sascha Weidner, die beide das Motiv von Bäumen beinhalten, stellen sich in der Wahrnehmung wie ein schneller Wechsel von Positiv-Negativ-Effekten dar, so dass die Arbeiten als einzelne faszinieren, im Nebeneinander beider irritieren. Im Gemälde von Sebastian Burger aus Leipzig erkennt man mythologische Figuren wie den vom Adler entführten Ganymed, in einer synthetischen, abstrakt-gegenständlichen Bildwelt, in der die Elemente „surreale Allianzen und groteske Dialoge“ bilden.