Tupfen. Streifen. Bänder. Und immer wieder Kreise, die verschiedene Zentren im Bildganzen ausweisen. Organische Flächen und Linien, aber auch grafische Muster, in farbstarken Kontrasten oder in harmonischen Farbklängen gesetzt. Die Malerei der australischen Ureinwohner können wir zunächst nur mit abstrakten Begriffen beschreiben. Und dennoch ist ihre Kunst nicht gegenstandslos. Sie zeugt von einer alten Kultur, die bildnerische Chiffren für die Interpretation der realen Welt herausgebildet hat.

#14

Die Aborigines haben Australien vor mehr als 50.000 Jahren besiedelt und eine Vielzahl von Sprachgruppen herausgebildet. Alle lebten als Jäger und Sammler. Sie teilten die Grundzüge eines Weltbildes, das Mensch und Natur auf dieselben Ursprünge zurückführte, nämlich auf schöpferische Kräfte, die im Land selbst angelegt waren. Den Menschen oblag eine besondere Verantwortung für das Land, der sie durch Zeremonien und durch nachhaltiges Alltagshandeln nachkamen.

Künstlerische Ausdrucksformen waren wesentlicher Teil des traditionellen Lebens. Sie sind bis heute überliefert in Form von Felsbildern und Petroglyphen, waren aber zum großen Teil – als rituell geschaffene Bodenbilder, als Körperbemalung oder Tanzaufsätze – äußerst vergänglich. Da viele Traditionen heilig und geheim waren, blieben sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts den europäisch-amerikanischen Neueinwanderern weitgehend unbekannt.

Die Verwendung von Industriefarben und modernen, mobilen Malgründen geht auf das Jahr 1972 zurück, als rituelle Spezialisten in Papunya begannen, Teile ihrer besonderen Tradition in neue Bildformate umzusetzen, die wie mythische Karten angelegt sind. Grundthema war und ist das Land, dessen spezifische Gestalt – Bergzüge, Seen, Wasserlöcher oder Bäume – auf schöpferische Wesen zurückgeht. Deren Kraft muss und kann bis heute an diesen Orten für die Jetztzeit aktiviert werden. Den Künstlern ist die richtige – wahrhaftige – Umsetzung ihrer jeweils spezifischen Traditionen wichtiger als ästhetische Kriterien. Dies hindert sie aber nicht, mit unterschiedlichen bildnerischen Möglichkeiten zu experimentieren und neue Wege zu beschreiten.

#Rundgang

EBENE 1

Auf Ebene 1 sind Arbeiten versammelt, die in ihrer gestalterischen Ausprägung auf die Anfänge der Aborigine-Malerei in den 1970er Jahren verweisen. Das gilt für die fünf Bildwerke auf Holz von Ngipi Ward (Patjarr, Kayili Artists) und Kanta Kathleen Donnegan (Tjuntuntjara, Spinifex Art Projects). Die 2013 und 2014 entstandenen Arbeiten zeigen die schon in den 1970er Jahren angelegte Bandbreite zwischen umfassender „Dokumentation“ einer Region mit ihren heiligen Orten und dem Blick auf das lokal Spezifische und seine jahreszeitlich bedingten Veränderungen. Ngipi Wards Bilder beziehen sich auf den Salzsee Kuluntjarra und die sich wandelnde Vegetation der Gibsonwüste während Kanta Kathleen Donnegans Gemälde die Wege der Schöpferahnen um Kapi Piti Kutjara repräsentiert.

Ihnen gegenüber gestellt sind Werke von Malern aus unterschiedlichen Regionen. Sie widmen sich fast ausnahmslos dem großen Thema des tingari-Zyklus, der „allen Männern gehört“ und die Schöpfung des Landes wie auch vieler Kulturtraditionen beschreibt. Die Bildwerke können durch Linien, exakte Punktierung oder Strukturen des Farbauftrags landschaftliche Charaktere oder Bewegung vermitteln. So baut George Yapa Tjangala seine Arbeit über die Felslöcher einer geheimen tingari-Stätte in Tarkulgna aus rechteckigen Formen und mit zurückhaltender Palette auf. Farblich intensiver ist das 2008 entstandene Bildwerk von Patrick Tjungurrayi. In seiner Reise nach Myililli nutzt er eine fein abgestufte Palette von Gelb- und Orange-Tönen, kontrastiert mit Pink und hellem Blaugrau. Aus Punkten gestaltet er unregelmäßige Streifen, die er intern mit Rechtecken variiert. Joseph Jurra Tjapaltjarri vermittelt mit wenigen Farbnuancen und unterschiedlich gekurvten, fast krakeligen Linien den Reichtum an essbaren Knollen, der den tingari-Frauen an ihrem Rastplatz in Yunala zur Verfügung stand, indem er ihr Wurzelsystem verbildlicht. Eine fast serielle Anmutung gibt Ray James Tjangala seiner Darstellung von Lagerplätzen der tingari-Männer nördlich und westlich von Kintore, wo sie die Wurzeln der Buschbananen ausgruben, die hier häufig vorkommen.

EBENE 2

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Aboriginal Art - Kunst der Aborigines - Silvia Ken - Seven Sisters - 2011 - tjukurrpa der Honigameise

Ein großer Teil der Arbeiten auf Ebene 2 wurde von Frauen gemalt. Oft beziehen sie sich auf weibliche Bild- und Ritualtraditionen, zu denen auch Vermehrungsriten gehören, greifen aber auch spezifische Formen der Körperbemalung auf oder referieren auf Tänze, die mit heiligen Orten verbunden sind.

Aus Amata, dem Art Center Tjala Arts, stammen die Bilder von Sylvia Ken und die Gemeinschaftsarbeit der Schwestern Yaritji Young, Tjungkara Ken, Freda Brady, Sandra Ken und Marinka Tunkin.

Das Gemälde von Silvia Ken hat die Geschichte der Sieben Schwestern zum Inhalt, die in vielen Frauentänzen dargestellt und mit dem Siebengestirn der Plejaden assoziiert wird. Die Gemeinschaftsarbeit thematisiert das tjukurrpa der Honigameise.

Die Arbeiten von Ngupulya Pumani und Tuppy Ngintja Goodwin, die beide in Myillili im Art Center Mimili Maku Arts tätig sind, beziehen sich auf das tjukurrpa eines für die nomadisch lebenden Aborigines wichtigen Nahrungsmittels: die Wichetty-Larve. Während Tuppy Goodwin auch die weitere Umgebung um den Zeremonialort Antara zeigt, nimmt Ngupulya Pumani die Frauen, deren Tänze die Vermehrung der Larven fördern, in ihre Gestaltung mit auf: dargestellt in Form von Halbkreisen, die dem Flirren der Tupfen unterlegt sind.

Neben zwei Gemälden der inzwischen legendären Emily Kame Kngwarreye aus Utopia zeigen vor allem die Bilder von Sally Gabori und May Moodoonuthi einen ganz eigenen Stil. Beide gehören zu einer Senioren-Malgruppe auf den Mornington-Islands im Norden Australiens. Sie kamen wie Emily Kame Kngwarreye erst in höherem Alter mit Leinwand und Farben in Berührung und sprengten unsere Vorstellung vom Charakter der Aborigine-Malerei. Sie arbeiten mit kräftigen Pinselstrichen und starken Farben: May Moodoonuthi in Bezug auf traditionelle Körpermalerei und Trauernarben, Sally Gabori in Erinnerung an die Insel ihrer Kindheit, die sie mit Farbschichtungen und großem Gestus in Malerei übersetzt.

Gegenüber den stark farbigen Gemälden setzt eine Reihe von Werken einen eigenen Akzent in der Ausstellung: Sie haben grafischen Charakter. Ihre Wirkung ist durch den Schwarz-Weiß-Kontrast geprägt. Sie sind wiederum von Männern gemalt und auf den tingari-Zyklus bezogen.

 Farblich ähnlich reduziert wirken einige Arbeiten auf der Ebene 2, die aus den im Norden von Westaustralien gelegenen Kimberleys kommen. Der verstorbene Rover Thomas und die noch aktiven Künstlerinnen und Künstler von Warmun mischen ihre Farben aus lokalem Ocker, Holzkohle und Pfeifenton selbst an. Die sonst häufig verwendeten Punkte sind in ihren Arbeiten nur sparsam zur Abgrenzung von Flächen eingesetzt. Auch ihr Thema ist das Land, seine Kraft, seine „Knochen“, oft verbunden mit persönlichen, emotionalen Erfahrungen oder mit historischen Ereignissen, die in den Werken mitschwingen, aber nur selten offengelegt werden.

Mit der Auswahl von Werken will die Ausstellung die Lebendigkeit in der Entwicklung der Aborigine-Malerei vor Augen führen. Die Künstlerinnen und Künstler begnügen sich nicht damit, lokal entstandene Maltraditionen lediglich zu reproduzieren. Mehr denn je stehen sie im Austausch miteinander und mit städtischen Zentren und sind gefordert, aus ihren Überlieferungen, ihrem Bild- und Hörgedächtnis und aus äußeren Anregungen je eigene Ausdrucksformen zu entwickeln.

Zur Ausstellung erschien ein Katalog Hängung #14 – NEUE BILDER Malerei der Aborigines mit einem Text der Kuratorin Dr. Ingrid Heermann, Stuttgart.

60 Seiten. 8,00 EUR.