Der Stiftungspreis Fotokunst der Alison und Peter Klein Stiftung wurde 2009 mit einer Dotierung von 10.000 Euro zur Förderung in Deutschland lebender Fotokünstler*innen der jungen und mittleren Generation eingerichtet. Anfangs wurde der Preisjährlich verliehen. Seit 2017 in dreijährigem Turnus statt und ist mit einer umfangreichen Ausstellung im KUNSTWERK Sammlung Klein verbunden. Wir freuen uns, in diesem Jahr zwölf Künstlerinnen und Künstler vorstellen zu dürfen, die von einer Jury für den Preis nominiert worden sind.
#27
Der Stiftungspreis 2023 bietet im KUNSTWERK Sammlung Klein erneut Gelegenheit, in konzentrierter Weise herausragende Positionen der Fotokunst kennen zu lernen und zugleich einem spannenden Spektrum künstlerischer Auseinandersetzungen zu begegnen. Geleitet ist die Auswahl der in diesem Jahr präsentierten Beiträge vom Thema „Im Innern“, das zunächst einen räumlichen oder abstrakten Bereich beschreibt, welcher innerhalb eines großen Ganzen liegt. Letzteres kann das Medium der Fotografie selbst sein, sich auf das bildnerische Motiv oder den Ort beziehen, an dem ein Werk entsteht. Das Thema schlägt aber auch eine Brücke zur inneren Vorstellungswelt der Betrachterinnen und Betrachter. Welche gedanklichen Verknüpfungen ergeben sich mit dem wahrgenommenen Bild? Und stimmen jene mit den inhaltlichen Kontexten des Geschauten überein?
Die vier Juror*innen Ann-Christin Bertrand (Berlin und Luzern), Stefan Gronert (Hannover), Matthias Harder (Berlin) und Ute Noll (Stuttgart und Zürich) haben ihre Nominierungen unabhängig voneinander benannt. Dennoch zeichnen sich Zusammenhänge ab, die in der Ausstellung inhaltliche und medienreflexive Leitfäden ergeben.
#RUNDGANG
Ebe
EBENE 1 | HELENA PETERSEN
ne 1 | NINA RÖDER
Manche Nachricht, manches Ereignis trifft einen wie ein Blitz. In Bruchteilen von Sekunden ahnt man im Innersten – sprachlos – die existenzielle Tragweite des erlebten Moments, sei es im Guten oder im Schlechten. Helena Petersen verbildlicht in ihrer Arbeit gerade jene schicksalhafte Erfahrung, die wir alle kennen. Ihre Pyrografien entstehen ohne Kamera in einem verdunkelten Schießstand. Als Fotogramme zeichnen sie das Licht von Mündungsfeuern auf und schließen Schmauchspuren ein. Das Ergebnis ist nicht kontrollierbar und nicht vorherzusehen.
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EBENE 1 | BERIT SCHNEIDEREIT
ne 1 | NINA RÖDER
Die konzeptuellen Arbeiten von Berit Schneidereit beinhalten mehrere Spannungsfelder, die sich in begrifflichen Gegenüberstellungen widerspiegeln. Digitale Aufnahmen von städtischen Parkanlagen oder botanischen Gärten werden zur Grundlage analoger Reproduktionen. Durch den Einschub von netzartigen Geweben während der Herstellung der Handabzüge verbindet sie die Fotografie mit der experimentellen Technik des Fotogramms, sodass letztlich zwei Ebenen verschmelzen, die das Verhältnis von Bildfläche und Bildraum thematisieren. Entsprechend begegnen sich in der Reihe ihrer Cyanotypien bildnerische Spuren von flüchtigen, dreidimensionalen Formationen mit malerisch-flächigen Aspekten, die dem Raum und der Zeit enthoben zu sein scheinen.
Ebe
EBENE 1 UND 2 | ALINA FRIESKE
ne 1 | NINA RÖDER
Ist das tatsächlich Fotografie oder vielmehr doch Malerei? Die Werke von Alina Frieske bestehen aus kleinen Fragmenten digitaler Aufnahmen. Zugrunde liegen dabei in sozialen Netzwerken kursierende Selfies, die als Akt der Selbstdarstellung das Private in die Öffentlichkeit tragen, jedoch durch ihre allgemeine Verfügbarkeit sowie die Wiederholung von Bildmustern ihren persönlichen Charakter verlieren. Die aus der Collagetechnik resultierende malerische Geste führt die aus dem kollektiv vorhandenen Material produzierten Bilder auf die traditionelle Funktion des Porträts als individuelle bildnerische Repräsentation zurück und setzt beide Aspekte spannungsvoll zueinander in Bezug.
Ebe
EBENE 2 | MORITZ PARTENHEIMER
ne 1 | NINA RÖDER
Ein Parkplatz in Jupiter, Florida: eigentlich ein Nicht-Ort, ein Ort ohne Geschichte, ohne Identität, nachts verwaist. Moritz Partenheimer versteht es in seiner Fotografie, der menschenleeren Szenerie einen besonderen Zauber abzugewinnen. Mag man sich zunächst in ein vielleicht unheimliches, jedenfalls dramatisch ausgeleuchtetes Filmsetting versetzt fühlen, wird der Blick alsbald von den formalen Korrespondenzen und den im Motiv begründeten haptischen Qualitäten gefesselt, die der Künstler mit seiner präzisen Lichtregie hervorhebt.
Ebe
EBENE 2 | JETTE HELD
ne 1 | NINA RÖDER
Jette Held widmet sich in ihrer Arbeit dem Genre der Naturfotografie, jedoch ohne den gängigen Bildmustern und Darstellungsabsichten zu folgen. Wie sie selbst sagt, ist die Fotografie für sie ein Werkzeug, um ihre unmittelbare Umgebung und Heimat im Harz zu erforschen. Sie taucht im wörtlichsten Sinne in die landschaftlichen Gegebenheiten ein, wenn sie – über die Jahre hinweg – ihre Aufnahmen unter Wasser in einem Weiher macht oder in einem aufgestauten Bach, der als Kuhtränke dient. Unerwartete, rätselhafte Bilder entstehen so auch als Fotogramme: auf dem Barytpapier gezeichnet von der Brechung des Lichts im fließenden Wasser.
Ebe
EBENE 2 | LIA DARJES
ne 1 | NINA RÖDER
Die Pracht barocker Stilllebenmalerei klingt an in den kunstvoll ausgeleuchteten Fotografien von Lia Darjes. Doch der Erwartung überbordender Fülle entsprechen sie nicht. Genauso wenig sind sie – wie man angesichts des stets dunklen Hintergrunds meinen könnte – dem Ort und der Zeit entrückt. Die Künstlerin hat die Stillleben ihrer Fotoserie Tempora Morte bei Studienaufenthalten in der russischen Exklave Kaliningrad aufgenommen. Sie zeigen das Wenige, das Menschen an improvisierten Marktständen feilbieten können, um ihr karges Einkommen aufzubessern: Früchte und Blumen aus ihren Gärten, Fische und Eingemachtes, manchmal ein Stück Fleisch.
Ebe
EBENE 2 | MONIKA ORPIK
ne 1 | NINA RÖDER
Stepping Out Into This Almost Empty Road lautet der Titel eines Buchprojekts von Monika Orpik. Es verbindet Fotografien, die zwischen 2020 und 2022 im polnischen Grenzgebiet zu Belarus aufgenommen wurden, mit auf Interviews basierenden Texten. In der idyllischen Umgebung des Białowieża-Naturparks, der zu einem Brennpunkt der gegenwärtigen Weltpolitik geworden ist, erzählen Angehörige der dort lebenden weißrussischen Minderheit und Asylsuchende von ihren Erfahrungen der Migration. Zugleich reflektieren die Fotografien deren Versuch, in der dauerhaften oder vorübergehenden Bleibe eine neue soziale Gemeinschaft zu bilden.
Ebe
EBENE 2 | MARTINA SAUTER
ne 1 | NINA RÖDER
Die Bilder, die in der installativ präsentierten Werkreihe News:Fiction von Martina Sauter meist paarweise angeordnet sind, gleichen sich. Einander gegenüber stehen Momentaufnahmen und Ausschnitte realer und fiktiver Handlungsverläufe. Während der Corona-Pandemie veröffentlichte Zeitungsfotos, Filmstills aus der Psychothriller-Serie Fortitude des britischen Fernsehens und Aufnahmen der Künstlerin sind durch den Blauton des in den Produktionsprozess einbezogenen Verfahrens der Cyanotypie der Zeitlichkeit enthoben und abstrahiert. Im Zusammenspiel erzeugen sie eine spannungsvolle, wirklich-unwirkliche Szenerie, welche beim Betrachten Erinnerungen und innere Bilder mit eigenem Plot freisetzt.
Ebe
EBENE 2 | SARA-LENA MAIERHOFER
ne 1 | NINA RÖDER
Abbildungen afrikanischer Masken schreiben sich in dreidimensionale Modelle von Grundrissen ethnologischer Museen ein. Farb-Fotogramme zeigen Regale, in denen sich ethnologische Artefakte mit hellen, unscharfen Schatten vor dem dunklen Grund abzeichnen. Sara-Lena Maierhofer setzt sich in ihrer 2017 bis 2021 entstandenen Werkreihe Kabinette mit Fragen zum Umgang mit dem kolonialen Erbe auseinander und begibt sich sozusagen in das Innere der musealen Einrichtungen. Mit ihren beiden künstlerischen Strategien der Fotoskulpturen und Fotogramme richtet sie den Blick gleichermaßen auf Aspekte der Präsentation und des Verwahrens der Objekte im institutionellen Kontext.
Ebe
EBENE 3 | ALWIN LAY
ne 1 | NINA RÖDER
In den Fotografien von Alwin Lay werden gewöhnliche Objekte und Alltagsgegenstände zu Akteuren. Skulptural ins Bild gesetzt, scheinen sie ein Eigenleben zu entwickeln, das auf den jeweiligen materiellen Beschaffenheiten und Funktionsweisen beruht, sich allerdings den üblichen Erwartungshaltungen, die wir mit den Objekten verbinden, entgegenstellen. Das Rätsel, wie seine Bilder entstehen, wird nicht offengelegt. – Die vermeintlich eindeutige Referenz des Motivs zu einem realen Gegenstand oder Geschehen erscheint ironisch gebrochen, sodass Vieles von dem, was wir über Fotografie zu wissen meinen, ins Wanken gerät.
Ebe
EBENE 3 | KATHRIN SONNTAG
ne 1 | NINA RÖDER
Wie produktiv die menschliche Wahrnehmung ist und wie sehr sie sich mit inneren Vorstellungen und Assoziationen verknüpft, veranschaulicht Kathrin Sonntag in ihrer Werkreihe Körperteile. Fragmente von Statuen, die wir selbstverständlich zur Ganzheit des eigenen Körpers in Bezug setzen, treten neben Aufnahmen, in denen unbelebte Objekte den Anschein von Gliedmaßen und Organen erwecken – oder umgekehrt – Körperteile an Gegenstände denken lassen. Es entsteht ein Vexierspiel zwischen objektiver Wirklichkeit und subjektiver Interpretation, welches zugleich die Bedingungen und Wirkungsweisen der Fotografie hinterfragt.
Ebe
EBENE 3 | JESSICA BACKHAUS
ne 1 | NINA RÖDER
Die Cut Outs von Jessica Backhaus strahlen mit ihrem leuchtenden Kolorit so als hätten sie all die Energie und die lebensbejahende Kraft der Farben und des Lichts in sich aufgenommen. Geometrische Figuren – von der Künstlerin aus transparenten Papieren geschnitten und auf monochromen Flächen arrangiert – entwickeln unter dem Einfluss der Sonne ein geradezu tänzerisches Spiel. Sie verformen sich, wölben sich auf, bringen farbliche Differenzierungen hervor, werfen scharfkantige Schatten. Mit dem Blick, der sich auf das Besondere im Zufälligen und vermeintlich Unspektakulären richtet, hält Jessica Backhaus die so nur für kurze Zeit bestehenden Konstellationen in Fotografien fest, die malerisch und poetisch wirken.