#RUNDGANG
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EBENE 1 und 2 | MAX NEUMANN UND ANDREAS GRUNERT
ne 1 | NINA RÖDER
Die Werke des in Berlin lebenden Künstlers Max Neumann (*1949) mit seinen silhouettenhaften Figuren und gesichtslosen Köpfen entziehen sich einer erzählerisch fassbaren Deutung. Die Farbflächen und Raumabstraktionen, die jene anonymen Protagonisten umgeben, erheben das Dargestellte – über die Kategorien von Zeit und Ort hinaus – in den Bereich des Allgemeingültigen. Weitere figurative oder gegenständliche Elemente in den Arbeiten liefern zwar eine Fülle gedanklicher Anspielungen, lösen aber die surreale Schwebe ihres erahnbar bedeutungsvollen Miteinanders nicht auf. Neumanns Gemälde und Arbeiten auf Papier bleiben rätselhaft und wecken Assoziationen zu eigenen Träumen und Ängsten. Ihren Betrachterinnen und Betrachtern stellen sie sich als bildhafte Metaphern einer eher dunklen Seite im Menschen entgegen, durchaus im Sinne eines Alter Ego, das die Tiefen des eigenen Innersten widerspiegelt
und damit nach außen trägt.
Zugleich beeindruckt die malerische und grafische Qualität der Arbeiten Max Neumanns. Das Auge tastet – beinahe haptisch spürbar – die Binnenstrukturen der vorwiegend schwarzen, weißen und roten Bildpartien ab. Man erkennt die Bereitschaft des Künstlers, in seinen Arbeitsprozessen auch Zufällen sowie intuitiven bildnerischen Setzungen zu folgen. Man erfasst die ausgewogenen Bildkompositionen, die bei allem inhaltlich Beunruhigenden dennoch eine gewisse Ruhe hervorrufen und dem inneren Dunkel etwas Helles, Luzides gegenüberzustellen vermögen.
Max Neumann und Andreas Grunert (*1947) verbindet eine langjährige Freundschaft, die seit ihrem gemeinsamen Stipendiumsaufenthalt 1986 an der Villa Romana in Florenz besteht. Die Werke beider Künstler begegnen sich nicht nur in ihrem formalen und malerischen Anspruch. Vielmehr zeigen sie miteinander vergleichbare grundsätzliche Auffassungen hinsichtlich eines auf existenziellen Seinsfragen beruhenden, in offene Deutungsräume führenden künstlerischen Schaffens.
Die Arbeiten von Andreas Grunert sind von einer poetischen Weite geprägt. In seinen formal reduzierten, meist nicht näher definierbaren Bildräumen erscheinen menschliche Figuren, Tiere, Bäume und Pflanzen sowie Gegenstände des Alltags nicht als Abbild, sondern vielmehr als sinnhafte Zeichen. In ihrem bildlichen Miteinander lösen sie intuitiv geleitete Gedankengänge aus, die jenseits des faktisch Fassbaren in die Bereiche des Möglichen führen. Eine mit lichten Farben in zwei Hälften gegliederte Darstellungsfläche kann zu einer Landschaft, das Unendlichkeitssymbol darin zur Wegstrecke einer darauf wandernden Figur werden.
An anderer Stelle spannen zwei typografische Anführungszeichen an den seitlichen Bildrändern die bis auf zwei kleine Esel leere, weil monochrome Fläche zwischen sich ein und verweisen damit – durchaus mit einer ironisch heiteren Brechung – auf die Sphäre des Nicht-Aussprechbaren.
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EBENE 2 | MAX NEUMANN UND ANGELA M. FLAIG
ne 1 | NINA RÖDER
Kontrastreich und dennoch in der inhaltlich existenziellen Tiefe übereinstimmend begegnen sich die Werke von Max Neumann
und Angela M. Flaig (*1948) auf Ebene 2.
Die Spuren des Lebens beschäftigen die in der Nähe von Rottweil lebende Künstlerin Angela M. Flaig (*1948) seit mehr als vier Jahrzehnten. Minimalistisch und der Arte Povera verwandt zeigen sich ihre frühen Arbeiten seit Mitte der 1970er Jahre, die mit Papierfaltungen, Reibe- und Rostspuren auf Papier den sensiblen Blick auf die Auswirkungen alltäglicher Handhabungen gebräuchlicher Materialien verraten. Mit der Frage, welche Zeichnungen wohl die feinen Wurzeln von Keimlingen auf einem Trägerpapier hinterlassen, beginnt in den 1990er Jahren die Arbeit der Künstlerin mit Pflanzensamen, die seither ihr Werk charakterisiert.
Den steten Kreislauf des Lebens – Werden und Vergehen, die beständige Möglichkeit eines neuen Wachsens – symbolisierend, entwickelt Angela M. Flaig mit den in der Umgebung ihres Zuhauses gesammtelten Flugsamen flächig oder stereometrisch strukturierte Reliefs. Dazu kommen Objekte, die elementare archaische Formen aufgreifen, wie die eines Würfels, eines Hauses oder einer Schale, wobei letztere zugleich an die etwas Kostbares schützende Geste von Händen erinnert. Mit ihrem ephemeren Arbeitsmaterial, das man sonst bestenfalls im Dahinfliegen wahrnimmt, erschafft Angela M. Flaig in mehrfacher Hinsicht lichterfüllte Werke. Die Ernte eines Flüchtigen gewinnt eine transzendente Dimension.
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EBENE 3 | ANGELA M. FLAIG UND ANNA LEONHARDT
ne 1 | NINA RÖDER
Im Dialog mit den Arbeiten von Angela M. Flaig machen die Gemälde von Anna Leonhardt auf Ebene 3 im KUNSTWERK
die metaphysische Wirkkraft abstrakter Malerei besonders deutlich. Die 1981 in Pforzheim geborene, heute in New York und Berlin lebende Künstlerin erzeugt in ihrem erkennbar prozessualen Vorgehen geradezu magisch leuchtende Bildräume.
Viele übereinander liegende, mit dem Spachtel gezogene, dünne Schichten von Ölfarbe lassen auf der Leinwand zunächst rechteckige Felder entstehen. Deren Ränder legen ebenso wie Farbnasen, welche den Bildträger seitlich überragen, ein sukzessives Suchen nach der malerisch letztgültigen Form frei. Farbverläufe in den Flächen rufen dreidimensionale, mitunter ins Greifbar-Plastische gesteigerte Qualitäten hervor. Zusammen mit der bildräumlichen Wirkung der Farbe bringen sie die Bildgefüge Leonhardts in ein unterschiedlich stark ausgreifendes, räumliches Schwingen.
Die verhaltene, phasenweise von einem taubenblaugrau unterlegten Farbklang getragene Stimmung der Malereien Anna Leonhardts wandelt sich bei den neueren Arbeiten zu Akkorden farbig intensiver Töne. Zudem löst sich die Anordnung von Farbfeldern auf. Scheinbar dahingeworfene, gestisch geprägte Formen verschweben in oder vor horizontal strukturierten, aber weich modulierten Hintergründen, die sich in einer unbestimmbaren Tiefe ausdehnen.
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EBENE 3 | MAX NEUMANN UND AMBRA DURANTE
ne 1 | NINA RÖDER
Die zu Beginn der 1980er Jahre entstandenen, auf Ebene 3 präsentierten Gemälde Quasi und Das Prin… von Max Neumann tragen eine gewisse innere Zerrissenheit in sich. Dem geradezu eruptiv Gestischen und Handschriftlichen seiner frühen Werke stehen die an Comics erinnernden Zeichnungen der 2000 in Genua geborenen und seit 2007 in Berlin lebenden Künstlerin Ambra Durante zur Seite. Wie man vielleicht das jüngst Erlebte, Erfahrene und Empfundene einem Tagebuch anvertraut, so übertrug sie ihre Reflexionen – vom Medium des Films beeinflusst – zunächst in ein szenografisches Protokoll. Erste öffentliche Aufmerksamkeit erhielt sie mit ihrer persönlichen und dennoch die Krisen des Erwachsen-Werdens allgemeingültig darstellenden Graphic Novel Black Box Blues, die sie 2020 in Buchform publizierte.
Mit „so trügerisch leichter Hand hingeworfen [… und] erhellt vom tänzerischen Witz einer zeichnerischen Intelligenz“ (Daniel Kehlmann) erscheinen auch die in der Ausstellung vorgestellten Arbeiten von Ambra Durante.
Auf ausgerissenen Packpapieren erinnern dicht gesetzte schriftliche, figürliche und gegenständliche Notate an den mitunter ungeordneten Flug gleichzeitig aufeinander einstürmender Gedanken. Jener Eindruck wird selbst dann nicht aufgehoben, wenn Zeichnungen auf den Rückseiten von Schießkarten im Raster präsentiert sind. Doch gerade in ihrem offenen Miteinander vermitteln die Werke und ihre darin enthaltenen Darstellungselemente – von den Bildtiteln unterstützt – Assoziationsräume, welche in die Lebenswelt der Künstlerin führen.