Der Titel der elften Ausstellung im KUNSTWERK – Sammlung Klein wird beim ersten Hören oder Lesen irritieren. Vielleicht denkt man beim „Widersprechen“ zuerst an den Widerspruch als kategorisches „Nein“, das sich dem bisher Geäußerten entgegen stellt und keine weitere Debatte zulässt. Aber: Das Widersprechen kann auch eine Gegenrede sein, die einen fruchtbaren Dialog in Gang setzt. Im Hin und Her der Argumente klären sich die Dinge; im gegenseitigen Schlagabtausch geht man einer Sache auf den Grund.
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Schon allein beim Aussprechen des Ausstellungstitels Konstruktives Widersprechen legt sich eine gewisse Widerständigkeit in den Fluss der Sprache. Die im Titel aufgestellte Behauptung, ein Widersprechen könne konstruktiv – mit anderen Worten: produktiv, letztlich ergiebig – sein, mag beim ersten Lesen oder Hören irritieren und führt im Allgemeinen zu einem Stutzen, einem Innehalten, meist gefolgt von einem fragenden Blick. Die Reaktionen, die der Titel heute auslöst, haben auch am Anfang, im Zuge eines Arbeitsprojekts, den Impuls für das Ausstellungskonzept gegeben. Beim Erstellen von Dossiers zu jedem im Bestand vertretenen Künstler und jeder Künstlerin haben gerade solche Werke die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, die in der Zusammenstellung der Abbildungen ein diskontinuierliches Erscheinungsbild ergeben und damit den gemeinhin wiedererkennbaren, kunsthistorisch unterstellten Köhärenzen zuwiderlaufen. Der Einwand, dass das Erkennen von Gegensätzlichem, Widersprüchlichem vielleicht nur dem ersten Blick und der Voraussetzung eines Denk- und Wahrnehmungsmusters geschuldet ist, führt zu der Frage, wie das doch augenscheinliche Widersprüchliche zu begründen ist. Sie hat schließlich die Entscheidung gefördert, diesen Aspekt in der Ausstellung zu thematisieren und die Aufmerksamkeit auf Entwicklungs- und Arbeitsprozesse zu lenken, in denen sich das Gegensätzliche des ersten Eindrucks zwar nicht auflöst, aber in der Betrachtung von künstlerischen Spannungsfeldern sinnfällig wird.
Die Werke, die im ersten Abschnitt der Ausstellung vorgestellt werden,widersetzen sich der Vorstellung stilistischer Kohärenz. Gleich am Anfang der Ausstellung spiegeln zwei Werke von Chris Succo unterschiedliche Ergebnisse der Auseinandersetzung des Künstlers mit den von ihm gewählten Materialien und Verfahren. Die Gemälde von Franziska Holstein im ersten Geschoss des KUNSTWERKs reflektieren ihre Entwicklung im Spannungsfeld von gegenständlich-figürlichem und konstruktiv-abstraktem Arbeiten. Wandinstallationen mit Fadenzeichnungen, kleinformatige Tuschearbeiten und Werke größeren Formats markieren im Erscheinungsbild divergierende Eckpunkte des zeichnerischen Erkundungsraums von Carolin Jörg.
Tatsächlich als Gegenrede und sich dem politischen Rahmen künstlerischen Schaffens widersetzend, repräsentiert eine Reihe von Werken im zweiten Obergeschoss Positionen staatlich nicht konformer Kunst in der DDR und in der UdSSR. In der Ablehnung der von Partei und Staat vorgegebenen ideologischen und ästhetischen Richtlinien waren die Künstler in beiden Ländern von den offiziellen Wegen der Kunstförderung und Kunstvermittlung ausgeschlossen. Beispiele der nonkonformistischen Kunst in der DDR sind in der Ausstellung Gemälde von Michael Morgner, Hermann Glöckner und Max Uhlig, die in einer Reihe mit druckgrafischen Werken von Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus, Eberhard Göschel, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke und Claus Weidensdorfer präsentiert werden. An der Wand gegenüber sind Werke wichtiger Vertreter der inoffiziellen Kunst in der UdSSR zu sehen. Die Arbeiten von Ivan Chuikov und Dimitrij Prigov verweisen dabei auf den „Moskauer Konzeptdualismus“. Leonid Sokov und Alexander Kosolapov gelten als wichtige Positionen der „Sos-Art“.
Im obersten Geschoss eröffnet der junge, in Mühlacker lebende Künstler Manuel Knapp mit seiner Installation Spacebox No. 1 das dritte Kapitel der Ausstellung „Spannungsfelder – mit Fäden gespannt“. Mit schwarzen Fäden erzeugt er einen Raumkörper, der sich dem Lot des realen Raums widersetzt und die Wahrnehmung der Betrachter in ein Spannungsfeld zwischen Räumlichkeit und Scheinräumlichkeit bringt. Verschiebt sich bereits bei Manuel Knapp das scheinbar Widersprüchliche auf das Verhältnis von objektiver Gegebenheit und subjektiver Wahrnehmung, führen die Werke der aus Japan stammenden und in Berlin lebenden Künstlerin Chiharu Shiota sowie die Fotografien von Jyrki Paratainen aus Finnland in eine innere Welt, in der widerstreitende Kräfte in existenzieller und emotionaler Weise wirken. Eingrenzung, Bindung und Gebundenheit sind die großen menschlichen Themen, die diese Werke anklingen lassen.