Seit 2009 lobt die Alison und Peter Klein Stiftung den Stiftungspreis Fotokunst in unregelmäßigen Abständen aus. Er ist mit 10.000 Euro dotiert und dient der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern, die in Deutschland leben und der jüngeren und mittleren Generation angehören. In der Ausstellung zum Stiftungspreis Fotokunst 2017 werden dreizehn Künstlerinnen und Künstler präsentiert, die für den Preis nominiert wurden und in die engere Auswahl der Fachjury gekommen sind. Ihre Arbeiten reflektieren in unterschiedlicher Weise das inhaltliche Spektrum von open minded.

#16

Der Titel des Stiftungspreises open minded umfasst eine Reihe von Bedeutungen: (welt)offen, aufgeschlossen zu sein, vorurteilsfrei dem Anderen und Neuen zu begegnen. In allgemeinster Weise lässt sich das Thema auf die Ausstellung im KUNSTWERK selbst beziehen, gibt sie doch Anlass, sich mit den eigenen Erwartungen und dem eigenen Verständnis des Mediums Fotografie auseinanderzusetzen. Des Weiteren eröffnet sich inhaltlich ein Feld, das den Fokus auf das „Fremde“ richtet, zugleich aber auch zu einer veränderten Wahrnehmung dessen auffordert, was bekannt und vertraut erscheint. Der im Titel liegende Aspekt, zur Prüfung überkommener Sichtweisen bereit zu sein, führt auch zu Fragestellungen in Hinblick auf die Fotografie selbst, die sich heute im Kontext von Neuen Medien und technischen Bedingungen zu positionieren hat.

Die Jury, 2017 bestehend aus Dr. Agnes Matthias, Sandro Parrotta, Prof. Ricarda Roggan, Prof. Dr. Bernd Stiegler und Valeria Waibel, hat sich entschieden, den Preis zu teilen. Ausgezeichnet werden künstlerische Positionen, die auf sehr unterschiedliche und je eigene Art eine individuelle fotografische Bildsprache gefunden haben und zugleich das Medium Fotografie in unverwechselbarer Weise prägen. Vergeben werden drei Hauptpreise an Bernhard Fuchs, Adrian Sauer und Sebastian Stumpf sowie ein Förderpreis an Ann-Kathrin Müller.

#RUNDGANG

Ebene 1 | Fotografie als Erkundungsraum

Sebastian Stumpf erkundet in seinen Serien eine besondere Form der Fotografie, die eine deutliche Nähe zur Performance-Kunst aufweist. Die Aufnahmen halten einen besonderen Augenblick fest, in dem der Körper in seiner Umgebung in origineller, witziger, zugleich aber auch irritierender Weise in Szene gesetzt wird. In der Ausstellung zu sehen sind Sequenzen aus den Serien Sukima (2009), Zenit (2016) sowie eine Arbeit aus Highwalk (2015).

Adrian Sauer unternimmt in seinen Arbeiten eine ebenso radikale wie überzeugende Reflexion der Fotografie als Medium im Zeitalter der Digitalisierung. Seine gegenständlichen Bilder in der Ausstellung, die Wolken oder Feuerwerke zeigen, bearbeitete er mit eigens entwickelten Computerprogrammen, die ihm weit über die Bildbearbeitungssoftware Photoshop hinausgehend erlauben, jeden Farbpixel präzise zu bearbeiten und damit die gesamte Farbpalette zu kontrollieren.

Ebene 2 | Dimensionen des Dokumentarischen

Auf der Galerie der Ebene 2 veranschaulicht der Fotoroman Lauter Steine von Ülkü Süngün die Geschichte eines Flüchtlingspaares zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Beruhend auf einer Begegnung in der Asylunterkunft in Kirchheim unter Teck begleitet die Künstlerin den georgischen Steinmetz Sergio Pipa, der aus seiner kunsthandwerklichen Fähigkeit, Reliefs in Flusskiesel zu schneiden, Mittel zur medizinischen Behandlung seiner kranken Frau erwerben will.

In der vorderen Passage der Ebene 2 stehen sich zunächst die Werke von Bernhard Fuchs und Göran Gnaudschun gegenüber. Bernhard Fuchs erkundet in seinen Serien zumeist seine oberösterreichische Heimat. Entstanden sind Portraits sowie Aufnahmen von Autos, Waldungen, Straßen, Wegen und Höfen von großer Subtilität, Eindringlichkeit und Intensität. Exemplarisch werden in der Ausstellung Ausschnitte aus den Serien Höfe und Wege präsentiert.

Göran Gnaudschun richtet mit seinen Fotografien aus der Serie Alexanderplatz den Blick auf eine Randgruppe der Gesellschaft, die beiläufig wahrgenommen wird, aber fremd bleibt. Mit eindrücklichen und würdevollen Porträts sowie mit Texttafeln gibt er Außenseitern Gesicht und Geschichte. Er bietet eine Begegnung mit Gestrandeten, Freaks, Punks, die an irgendeiner Stelle ihres Lebens die Abzweigung in die „Platte“ nahmen.

Im Hauptraum begegnen sich die Werke von Ann Kathrin Müller und Wataru Murakami. Die Schwarz-Weiß-Fotografien von Ann-Kathrin Müller stellen als einzelne und als präzise geplante Serie die Komposition in den Mittelpunkt der fotografischen Arbeit. Motivische und formale Referenzen zu Film, Mode- oder Werbefotografie schaffen beim Betrachten eigene Assoziationsräume. Der inhaltliche Zusammenhang der Bilder deutet sich in Texten der Künstlerin an, bleibt aber dennoch offen.

Die Arbeiten von Wataru Murakami erwachsen aus seiner interkulturellen Identität. Sein Leben in der fernöstlichen und westlichen Welt prägt den Blick bei seiner Auseinandersetzung mit dem Genre der Stillleben-Fotografie. In seinem mehrjährigen Still Life Project hebt er Objekte, Räume Menschen aus dem Kontext von Arbeitsprozessen heraus. Gezeigt werden Booklets und Bildtafeln von At a Studio: Restauration, Inside Urban Space: Sort, Work, Distance and Light und Himi City.

In der zweiten Passage werden Fotoserien von Pepa Hristova und Johanna Diehl präsentiert. Pepa Hristova ermöglicht eine Annäherung an das Cross-gender-Phänomen der Sworn Virgins. In der Abgeschiedenheit der Berge Albaniens hat sich die aus dem Mittelalter stammende Tradition erhalten, dass Frauen nach dem Schwur lebenslanger Jungfräulichkeit die Rolle von männlichen Familienoberhäuptern übernehmen. Sie erhalten den Status und die Rechte von Männern und nehmen auch in ihrem Aussehen immer stärker männliche Züge an.

In der Architekturfotografie von Johanna Diehl werden Umwidmungen und Überschreibungen in der Nutzung der Gebäude und damit Geschichte sichtbar. In ihrer Ukraine-Serie hat sich die Künstlerin auf die Suche nach Synagogen gemacht, die seit der Ermordung und Vertreibung der Juden während des Zweiten Weltkriegs zu Turnhallen, Kinos oder Ladengeschäften umgenutzt und umcodiert wurden.

Ebene 3

In der ersten Koje der Ebene 3 zeigt Regine Petersen einen Auszug aus ihrer Serie Find a Fallen Star. Die fotografischen Erkundungen und Recherchen der Künstlerin finden an Orten von Meteoriteneinschlägen statt, die vor Jahren oder Jahrzehnten stattgefunden haben. Die menschliche Dimension eines Alltagslebens abseits großer Zentren kontrastiert mit dem kosmischen Ereignis von ungeheurer Tragweite.

Die Werkgruppe The Citizen von Tobias Zielony – in der zweiten Koje – geht auf ein Projekt mit politisch aktiven Migrantinnen und Migranten in Berlin und Hamburg zurück. Die in der Ausstellung präsentierte Sequenz stellt die im Sengal verfolgte Menschenrechtlerin Napuli Langa während einer Aktion in Berlin vor. Zielony geht über das Dokumentarische hinaus, indem er die großformatig arrangierten Fotografien durch Bilder und Texte im Zeitungsformat ergänzte und zugleich Redaktionen in den Heimatländern gewinnen konnte, welche die Porträts zur Grundlage eigener Artikel machten.

Im vorderen Teil der Galerie stellt Inga Keber mit ihren Arbeiten die Frage nach der „Natur“ der Fotografie. Mit bewusster Unschärfe wendet sie sich gegen das Verständnis von Fotografie als detailgetreue Entsprechung des Abgebildeten. Zugleich untergräbt sie in der seriellen Darstellung eines Motivs die Vorstellung, dass die Reproduktion einer Fotografie identische Ergebnisse hervorbringe. An verschiedenen Druckern ausgedruckt, wird jeder finale Abzug, jede Kopie zum Original.

Die Fotografien von Björn Siebert tragen den Untertitel Remake. Als Vorlage dienen ihm Schnappschüsse, die er in Bildforen im Internet findet und auswählt. Im Original oft beiläufig aufgenommen und belanglos, wird das vorgefundene Motiv von ihm in akribischer Weise re-inszeniert und mit analoger Technik in den Bereich der künstlerischen Fotografie transformiert.