Das KUNSTWERK Sammlung Klein präsentiert von 19. Juni bis 18. Dezember 2022 eine Schau von internationalem Rang: eine Einzelausstellung des irisch-amerikanischen Künstlers Sean Scully (*1945). Gezeigt werden Gemälde, Pastelle, Radierungen und Zeichnungen aus rund drei Jahrzehnten, die wesentliche Leitmotive seiner abstrakten Malerei vorstellen und die besondere Qualität seiner Bilder als ebenso sinnlich wie emotional erfahrbare Ereignisse vermitteln. Am Beginn der Ausstellung verweist die Skulptur Venice Stack aus farbigem Muranoglas auf die bildhauerische Tätigkeit des Malers. Zugleich eröffnet sie die Auseinandersetzung mit objekthaften, körperlichen Aspekten seiner Bilder.
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Sean Scully ist 1945 in Dublin geboren und in London aufgewachsen. Nach seinem Studium im britischen Newcastle führte ihn 1975 ein Harvard-Stipendium in die USA. Dort vollzog sich der entscheidende Schritt in seiner Kunst, nämlich der abstrakten Malerei eine emotionale Dimension zu verleihen, die eine unmittelbare Verbindung zu den Betrachtern herstellt. Seit Anfang der 1980er Jahre zählt er zu den international bedeutendsten Malern der Gegenwart. Heute lebt er in New York, Aix-en-Provence und Deutschland.
Was die Strahlkraft von Sean Scullys Schaffen sowohl in seiner künstlerischen Position als auch in der unmittelbaren Begegnung mit seinen Werken prägt, ist zunächst die Ausdrucksstärke seiner abstrakten Malerei. Seine Bilder beruhen auf Gefügen geometrischer Formen, aus senkrecht und waagrecht ausgerichteten Rechtecken, Streifen, Bändern. Doch der Farbauftrag zeigt eine deutlich gestische Handschrift und legt damit eine Spur zur Subjektivität, zum Fühlen und Denken des Künstlers. Mit dem ebenso reich wie subtil differenzierten Kolorit seiner Werke erzeugt Scully bildnerische Klangwelten, die beim Betrachten persönliche Resonanzräume öffnen.
Dass Sean Scully seit zwanzig Jahren großformatige dreidimensionale Arbeiten erstellt, erschließt sich auch aus der skulpturalen Qualität seiner Malerei. Die Ausstellung im KUNSTWERK geht der Frage nach, ob nicht gerade sie zu jener faszinierenden Präsenz beiträgt, die seine Gemälde in der architektonischen Umgebung des Ausstellungsraumes entwickeln.
#RUNDGANG
Ebe
Ebene 0 | Ebene 1
ne 1 | NINA RÖDER
Die Skulptur Venice Stack aus dem Jahr 2020 besteht aus elf Schichten farbigen Muranoglases. Sie erhebt sich auf einem quadratischen Grundriss und umfasst einen leeren Innenraum, in dem sich das Licht bündelt. Das Glas ist zum einen durchscheinend transparent, zum andern opak, so dass sich die chromatische Leuchtkraft der Skulptur noch weiter differenziert und geradezu malerische Qualitäten entwickelt.
Der Kontext von Malerei und Skulptur lenkt den Blick auf die enorme körperliche Präsenz, die auch die Gemälde Sean Scullys auszeichnet. Sie widersetzen sich der traditionellen Vorstellung, ein Bild biete Einblicke in eine fiktive oder illusionistische Szenerie. Ganz im Gegenteil: mit der geradezu haptisch spürbaren Materialität ihrer Oberflächen entwickeln sie ihre Wirkkräfte in den realen Raum hinein. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei den Bildträgern selbst zu, die sich objekthaft von der Wandfläche abheben und seit Mitte der 1990er Jahre auch zunehmend aus dem Werkstoff Aluminium bestehen.
Die Exponate auf Ebene 0 und 1 im KUNSTWERK gehören zu der im Jahr 2000 einsetzenden Landline-Serie Sean Scullys. Unterstützt durch den Titel, lassen ihre breiten, horizontalen Farbbahnen landschaftliche Assoziationen anklingen. Es entsteht das Gefühl eines grenzenlosen Schwingens, welches sich im Zusammenspiel von Kolorit und malerischer Geste harmonisch entwickelt oder aber spannungsvoll dynamisiert. Doch in den weiten Klang dringt im Gemälde Black Window 3 aus dem Jahr 2020 jäh ein schwarzes Feld ein, ein schwarzer, rechteckiger Körper, der an das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch erinnert. Sean Scully hat das Bild während der Corona-Pandemie gemalt und fasst die existenzielle Erfahrung, die wir alle teilen, in die Form eines Fensters ohne Ausblick.
Ebe
Ebene 2
ne 1 | NINA RÖDER
Sowohl Scullys Verwendung der Nicht-Farbe Schwarz als auch sein Prinzip des „Insets“ – eines Bildes im Bild – werden mit den weiteren Exponaten der Ausstellung sichtbar. In den vier monumentalen Tafeln des Werks KANKANKAN for KANdinsky kehrt sich die Konstellation von Black Window 3 um. In schwarze Bildkörper sind hier farbige Elemente in unterschiedlichen Formaten und Positionen einmontiert. Deren Farbigkeit entwickelt aus dem dunklen Fond heraus eine immense Strahlkraft, die in der hellen Halle des KUNSTWERK geradezu sakral wirkt. Damit weisen sie gewissermaßen auf die Skulptur Venice Stack zurück, die als farbiges Lichtgefäß aus Glas an Kirchenräume denken lässt.
Zur großen Werkgruppe Wall of Light gehören jene Gemälde, deren formale Struktur aus einem Verbund horizontal und vertikal ausgerichteter Rechtecke besteht. Arbeiten mit dem Titel Cut Ground enthalten auch Felder mit schmalen Streifen: Die Bildidee einer „Mauer aus Licht“ erscheint hier auf die partikulare Gliederung einer bearbeiteten Kulturlandschaft projiziert. Die malerische Textur sowie die offenen Fugen zwischen den „Bricks“ und Feldern lassen den Arbeitsprozess Sean Scullys erkennen. Sie zeigen, wie offenbar nach und nach, in den vielen Schichten nass-in-nass aufgetragener Ölfarbe ein Zusammenklang der Elemente entsteht, welcher eine besondere Stimmung in sich trägt und das Bild zum Ausdrucksäquivalent menschlichen Seins werden lässt.
Sean Scullys Werke erweisen sich als höchst beziehungsreich: jedes einzelne Bildelement, jede Farbe ist Teil eines komplexen bildnerischen und tonalen Gefüges. Dabei wirkt das Beziehungsgeflecht in etlichen mehrteiligen Werken der Ausstellung über die Grenzen der einzelnen Tafeln hinaus.
Aber auch umgekehrt schreiben sich Strukturen mehrteiliger Bildkonzeptionen in Werke ein: Den Pastellen mit dem Titel Doric ist die Dreiteiligkeit des Triptychons unterlegt; das Pastell Mirror 7.26.19 enthält Bezüge zum Diptychon und thematisiert auf Basis der Spiegelbildlichkeit gerade das Abweichen von einer exakten Symmetrie.
Ebe
Ebene 3
ne 1 | NINA RÖDER
Das großformatige Gemälde Titian’s Robe Pink 08 beendet den Rundgang durch die Ausstellung auf Ebene 3. Die Anspielung auf Tizians berühmte Papstbilder und das Gewand als Vermittler „kleidgewordener Identität“ (Marcel Proust), unterstreicht nochmals die Verwurzelung der Malerei Sean Scullys in der Lebenswelt des Menschen, sowohl in der geistig-historischen Dimension der Kulturgeschichte als auch im Subjektiven und Individuellen.