Kategorie: Allgemein

Hängung #18

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Selbst nach Jahren erinnert man sich an den Eindruck eines Raumes, auch wenn Details seiner Gestaltung oder Ausstattung vergessen sind. Seine Ausdehnung, sein Licht, der Klang der Schritte, vielleicht auch der Geruch, bleiben in Gedanken abrufbar – nicht nur als Bild, sondern als ein emotionales Ganzes, das im Körpergedächtnis verankert ist. Gleichermaßen versetzt uns die subjektive, leibliche Erfahrung von Raum in die Lage, sich in Räumlichkeiten einzudenken, sich gedanklich in ihnen zu bewegen, obwohl sie nur abgebildet oder in modellhaften Abmessungen ausgeführt sind.

#18

Die alltägliche Wahrnehmung architektonischer Räume und Strukturen spielt in der Hängung #18 im KUNSTWERK eine tragende Rolle. Sie lässt eine unmittelbare Verbindung zwischen den künstlerischen Inhalten der präsentierten Werke und der Erfahrungswelt der Betrachterinnen und Betrachter entstehen. Das Ausstellungkonzept hat dabei einen wesentlichen Impuls aus baulichen Veränderungen erhalten, die im KUNSTWERK eine neue räumliche Situation hervorgebracht haben. Die bisherigen Ausstellungswände wurden abgebaut. Auf Ebene 2 öffnet sich beim Betreten des Raumes nun eine große Halle, so wie sie ursprünglich errichtet, aber seit der Eröffnung des privaten Museumsgebäudes noch nie zu sehen war. Auch die Galerie auf Ebene 3 zeigt sich erstmals ohne Untergliederung als große, freie Fläche. Bereits bei der Entscheidung zum baulichen „Reset“ hat die Vorstellung einer grundsätzlich veränderten Wirkung des architektonischen Raumes Einfluss auf die Konzeption der Ausstellung genommen. Sie hat zu dem Entschluss geführt, das Thema des Raumes selbst zum Inhalt der Hängung #18 zu machen. So werden mit den Werken von Julius von Bismarck, Katja Ka, Umschichten, Sinta Werner und Rolf Wicker künstlerische Positionen vorgestellt, die Verbindungen zu architektonischen Strukturen aufweisen und damit die Wahrnehmung und Erfahrung von Raum und Räumlichkeit in unterschiedlicher Weise thematisieren.

#RUNDGANG


Ebene 0 und Ebene 1 | 
Veränderte Perspektiven auf den Raum

Bei den im Eingangsbereich sowie auf Ebene 1 vorgestellten Werken bilden modifizierte Perspektiven in und auf den Raum die zentralen Gesichtspunkte. Der Top Shot Helmet Julius von Bismarcks gewährt einen Blick auf die eigene Person aus der Vogelperspektive. Körperliche und optisch-visuelle Wahrnehmung von Raum und Räumlichkeit werden damit voneinander abgekoppelt und erfordern bei der Fortbewegung ein hohes Maß an Adaptionsfähigkeit. Multiple Perspektiven prägen auch die fotografischen Arbeiten von Sinta Werner, die zwei- und dreidimensionale Aspekte miteinander kombiniert und damit in ihren Simultanarchitekturen für eine Vermischung realer und konstruierter Bildwirklichkeiten zu sorgen versteht.

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Julius von Bismarck - Top Shot Helmet
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Julius von Bismarck - Top Shot Helmet
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Sinta Werner - Die szenische Auflösung
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Sinta Werner - Die szenische Auflösung
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Sinta Werner - Was war zu tun - Zeus

Ebene 2 | Raum zwischen Architektur und Skulptur

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Rolf Wicker – Rekonstruktionsversuch - 2018
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Katja Ka - R20 - Verschachteln - 2004 - Retrouvage
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Katja Ka - R13 - Verspannung II - 2002 - Retrouvage
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Katja Ka - R24 - Princess Silver - 2005 - Retrouvage

Die Arbeiten von Rolf Wicker und Katja Ka werden in der Halle auf Ebene 2 präsentiert. Als künstlerische Auseinandersetzungen begegnen sie sich im Spannungsfeld von Architektur und Skulptur, unterscheiden sich jedoch maßgeblich in der Dimension ihrer Werke. Wickers Installation ist raumgreifend. Ihre exemplarisch aus den Bauformen der Basilika San Clemente in Rom abgeleiteten Raumbildungen sind leibhaftig erlebbar, indem man sich in ihnen bewegt und aufhält. Dagegen haben die Retrouvagen von Katja Ka modellhafte Abmessungen. Sie nehmen den Charakter fiktiver Architekturen ein, deren Monumentalität sich imaginativ vermittelt. Der Titel der Werkserie, der sich vom französischen „retrouver“, zu Deutsch „finden“, ableitet, verweist dabei auf das Gefundene sowohl im verwendeten Material als auch im schöpferischen Prozess.

Ebene 3 | Wandelbare Raumsysteme

Mit dem Beitrag von Lukasz Lendzinski und Peter Weigand wird im KUNSTWERK erstmals ein sogenanntes „offenes Projekt“ in die Ausstellung einbezogen. Die Bezeichnung ihres Architekturbüros Umschichten ist Programm. Ihre für jeden Ort und meist temporären Bedarf neu entwickelten Konzepte basieren auf der Verwendung bereits vorhandener Elemente, die nach dem Gebrauch wieder unbeschädigt rückgeführt werden können. Im KUNSTWERK lassen sie in drei Phasen unterschiedliche räumliche Konstellationen aus wiederverwendbaren Baumodulen entstehen, die zu jeweils neuen Raumerfahrungen führen. Ihr Projekt ist insoweit partizipativ, als die Besucher die Wandelbarkeit des Systems selbst verfolgen können. Die Umbaumaßnahmen finden Mitte März und Anfang Mai statt.

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #18 - Räumlichkeiten - Umschichten - Bauprobe 2018 - Lukasz Lendzinski - Peter Weigand

Hängung #17

Zu den umfangreichsten und bedeutendsten Konvoluten in der Sammlung Klein gehören rund 20 Arbeiten des irisch-amerikanischen Künstlers Sean Scully. Begegnungen in dessen New Yorker Studio haben Alison und Peter W. Klein auch den Zugang zu den Werken seiner Frau Liliane Tomasko eröffnet. Für die inzwischen freundschaftlich verbundenen Künstler und Sammler stand es außer Frage, die Präsentation des Scully-Blocks mit einer Doppelausstellung zu verbinden und damit einen persönlichen Akzent zum Jubiläum des KUNSTWERK zu setzen.

#17

Alison und Peter W. Klein haben einen europaweit einzigartigen Werkblock von Sean Scully aufgebaut, der dessen künstlerische Entwicklung von 1973 bis heute nachzeichnet. Sean Scully, 1945 in Dublin geboren, gehört weltweit zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Nach Einflüssen von Op-Art und minimalistischer Kunst zeigt sein Werk seit den 1980er Jahren eine unverwechselbare Bildsprache mit in Malschichten verdichteten, orthogonal ausgerichteten Farbfeldern und -bändern. Farbauftrag und Farbklang sind dabei emotional aufgeladen. Abstrakte Malerei wird bei Scully zum bildnerischen Äquivalent menschlichen Erlebens und Empfindens.

Liliane Tomasko, 1967 in Zürich geboren, schöpft ihre künstlerische Arbeit aus dem privaten Umfeld. Kleidungsstücke, Decken oder Bettlaken bilden gegenständliche Referenzen in ihrer Malerei. Das Gegenständliche liefert in ihren neuen Arbeiten nur noch den strukturellen Untergrund für ihre Gemälde, die mit gestischen Zügen bildräumliche Gewebe aus grafischen und malerischen Elementen bilden.

Die Ausstellung im KUNSTWERK zeigt erstmals eine verschränkte Präsentation beider Positionen, die losgelöst von einer chronologischen Anordnung bildnerische Dialoge zwischen ihren Werken entstehen lässt.

#Rundgang

EBENE 1 

Der Auftakt der Ausstellung spürt der subjektiven Signatur im Abstrakten nach. Zwei Gemälde von Sean Scully mit komplexen, dann vereinfachten Gitterstrukturen aus den Jahren 1973 und 1974 reflektieren das Eindringen von Handschriftlichkeit in das Werk des damals 28jährigen Künstlers. Die Veränderung im Farbauftrag, die sich zwischen Diagonal Inset und Overlay #9 zeigt, weist bereits auf eine Abkehr vom kühlen bildnerischen Kalkül. Im Zeitsprung zu Desire or Desired (2007), das in seiner Farbigkeit alle Töne des Begehrens in sich trägt, offenbart sich die emotionale Kraft, die in der Malerei von Sean Scully liegt.

Auf die drei Jahrzehnte umfassenden Werke Sean Scullys antwortet eine Serie von aktuellen Zeichnungen Liliane Tomaskos. Im spontanen Fluss ihres Arbeitens entstehen unterschiedlich verdichtete Liniengefüge, die in ihrem gestischen Charakter unmittelbarster Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit sind.

EBENE 2

Die Weiterführung des „Inset“, der Bild-im-Bild-Konzeption von Sean Scully, bildet zunächst eine Klammer zwischen der ersten und zweiten Ebene im KUNSTWERK. In der Kombination seiner Gemälde und Pastelle mit den Werken von Liliane Tomasko, die „dunkle Ecken“ (Fensterbänke) oder übereinandergeschlagene Decken mit Streifenmuster zeigen, werden malerische Qualitäten und die Feinheit farblicher Valeurs in den Arbeiten beider Künstler zum Thema.

Sean Scullys Day Night (1990) ist ein Gemälde von außerordentlich körperlicher Präsenz. Das Mittelteil des Triptychons ragt hervor. In der Materialität des Farbauftrags zeigt sich eine unbändige Kraft, die das offene Gefüge aus schwarzen und grauen Feldern mit dramatischer Energie auflädt. Die dunkle und schwere Farbigkeit, die für die Entstehungszeit typisch ist, steht in Kontrast zu aktuellen Werken von Sean Scully und Liliane Tomasko. Beide haben ihre Arbeit nach einem existenziellen Einschnitt 2013 mit neuen Impulsen fortgesetzt. Bei Scully beginnt in dieser Zeit die Serie Landline mit horizontalen Farbbahnen. Liliane Tomasko findet in ihrem Werk zu einer neuen Bildsprache mit expressivem Gestus, deren Vitalität in einer Serie großformatiger Gemälde zum Ausdruck kommt.

EBENE 3

Zwei Solokabinette stellen unterschiedliche Aspekte in der Arbeit des Künstlerpaares vor. Liliane Tomaskos Gemälde aus dem Jahr 2002 zeigen in einem Rückblick den Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Hingeworfene Kleider bilden den Anlass für eine subtile Übersetzung des Gegenständlichen ins Malerische. Aus dem Motiv von Kleider- oder Stoffstapeln entwickelt sich die Gliederung und Tonigkeit ihrer Zeichnungsserie Floating Stacks (2010). Sean Scullys Gemälde Mooseurach (2016) stehen Fotografien gegenüber, die Grundprinzipien seiner Malerei im anderen künstlerischen Medium verhandeln.

Sammlung Klein im Kunstmuseum

#RUNDGANG

EBENE 1

Text zur Verfügung gestellt vom Kunstmuseum Stuttgart, es wurden lediglich minimale Änderungen aufgrund von Kürzungen vorgenommen; Fotos: Frank Kleinbach

Den für das Kleinʼsche (Kunst-)Unternehmen wichtigen Aspekt der gesellschaftlichen Verantwortung greift der Ausstellungstitel auf, der einer Arbeit von Anna Oppermann (Eutin 1940 – 1993 Celle) entlehnt ist: Ensemble mit Dekor (Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist) – Dekor mit Birken, Birnen und Rahmen (1969-1984-1992). Da der in Klammern beigefügte Satz wie von selbst zum verbindenden Gedanken für die Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart wurde, bildet die Installation den Auftakt. Sie ist mit einem Blick kaum zu erfassen. Über 250 Teile bieten sich dem Auge an: kleinere Fundstücke und Objekte, über 100 Fotografien, 11 große Fotoleinwände, 77 Zeichnungen und Skizzen sowie 40 handschriftliche Notizen und Zitate. Jedes einzelne Teil verlangt nach Aufmerksamkeit und Reflexion, setzt Assoziationen frei und öffnet weitere Türen. Ausgehend von einer Wand- und Ecksituation, entwickelt sich Oppermanns Ensemble rhizomatisch, geht vom Kleinteiligen zum Großen, vom Dreidimensionalen in die Fläche. Es ist ein Modell der Welterschließung, es führt vom Privaten ins Allgemeine, es lanciert gesellschaftspolitische Fragen, die so vielschichtig sind und unvollendet bleiben müssen wie die Arbeit selbst.

In direkter Nachbarschaft zu Oppermanns Installation befinden sich Werke von Anselm Kiefer (*1945 in Donaueschingen) und Florian Heinke (*1981 in Frankfurt a.M.). Die Malerei Anselm Kiefers beschäftigt sich mit Themen der Menschheitsgeschichte. Den beiden Gemälden in der Ausstellung, die sich durch die schiere Präsenz ihrer Materialität auszeichnen, sind Melancholie und Trauer wortwörtlich eingeschrieben. Mit dem Titel »Er trägts wie man Tote trägt auf den Händen. Er trägts wie der Himmel mein Haar trug im Jahr, da ich liebte« (2004) nimmt Kiefer Bezug auf die düstere existentielle Poesie des Lyrikers Paul Celan. Velimir Chlebnikov, Lehre vom Krieg, Seeschlachten wiederholen sich alle 317 Jahre (2005) ist dem russischen Mathematiker und Futuristen Velimir Chlebnikov gewidmet. Dessen Manifest von 1912, das er aus komplexen mathematischen Formeln herleitete, setzte der Aussicht ein Ende, der Mensch könne sich bessern: Der nächste Krieg wird kommen, er ist bereits vorprogrammiert. Der Maler Florian Heinke gibt dazu seinen ganz eigenen Kommentar ab: Auf das Gesicht eines weinenden Jungen schreibt er in Fraktur das Wort »Heimat«. Es scheint, als würde mit diesem Bild unsere ganze Geschichte in einem Moment zusammengefasst. Seine Bilder, die er alla prima mit schwarzer Acrylfarbe auf unbehandelte Leinwand malt, bezeichnet Heinke selbst als »Black Pop«.

 

Der melancholischen Stimmung des ersten Raums begegnet man an vielen Stellen der Ausstellung, auch im nächsten, sich über zwei Etagen erstreckenden Ausstellungsraum. Die tektonisch konstruierten und in gedeckten Farben gemalten ungegenständlichen Bilder von Sean Scully (*1945 in Dublin) bilden einen zentralen Schwerpunkt in der Sammlung Klein. Nur wenige Künstler haben ihren Fokus so stringent auf den Streifen als bildgebendes Element gelegt wie der irische Maler. Das führt die in der Ausstellung präsentierte Auswahl von 10 Werken eindrücklich vor Augen: von den präzise gezogenen Gitterstrukturen der frühen Schaffensjahre bis zu den zuletzt entstandenen Gemälden aus horizontal und vertikal ausgerichteten, sich kontrastierenden Streifenfeldern, die – von Hand mit dem Pinsel in einer Nass-in-Nass-Technik ausgeführt – aufgrund ihrer Oberflächentextur eine plastische Dimension eröffnen. Im selben Raum befinden sich zwei ›Kissenbilder‹ von Gotthard Graubner (Erlbach 1930 – 2013 Düsseldorf). Mit seiner ungegenständlichen Serie dieser Farbraumkörper, deren Bildträger er auspolsterte und dann Schicht um Schicht mit Farbe durchtränkte, untersucht Graubner seit den 1980er-Jahren den Eigenwert und die räumlich-körperliche Wirkung von Farbe.

Der Gattung Zeichnung, die mit bemerkenswert vielen weiblichen Positionen vertreten ist, ist der folgende Raum gewidmet. Von Louise Bourgeois (Paris 1911 – 2010 New York) ist die neunteilige Radierfolge Ode à ma Mère (1995) zu sehen. Darin erforscht die Künstlerin die komplexe Mutter-Kind-Beziehung mittels des in ihrem Werk wiederkehrenden archetypischen Motivs der Spinne, der sie ausschließlich positive Eigenschaften zuschreibt. Bei Katharina Hinsberg (*1967 in Karlsruhe) trifft das Freihändige auf akkurate Maßarbeit, die feine Linie auf den Raum. Bei den beiden ausgewählten Zeichnungen aus der Serie DIVIS (2013) werden Linien durch Wegschneiden des Umraumes bis auf ein weißes feines Papiergitter herauspräpariert, wodurch die Zeichnung zu einer komplexen Räumlichkeit gelangt. Chiharu Shiota (*1972 in Osaka) überführt in ihren Installationen zeichnerische Prinzipien endgültig in die Dreidimensionalität. Als künstlerisches Mittel dient ihr hierfür der Faden, mit dem sie Gegenstände – in der Installation Trauma / Alltag (Ladyʼs Dress) (2007)ein gebrauchtes weißes Kleid – mit einem dichten Gewebe umspinnt.

Thomas Müller (*1959 in Frankfurt a.M.) entwickelt intuitiv, gleichwohl auch planvoll, aus Punkt, Linie und Fläche nichtillustrative, psychografische Strukturen. Alle Arbeiten haben ihren eigenen Charakter, sind aber zugleich Teil eines auf Dauer angelegten, umfassenden Experiments, mit dem er das Potenzial der abstrakten Zeichnung erprobt. Zwischen anschaulicher Mathematik und musikalischer Partitur sind die Arbeiten von Jorinde Voigt (*1977 in Frankfurt a.M.) angesiedelt, die sich durch eine filigrane Linienführung auszeichnen. Ihre Zeichnungen aus der Serie der Matrix-Studien, von denen in der Ausstellung zwei gezeigt werden, erinnern an Notationen oder Diagramme. Unscheinbare und ephemere Dinge dienen Nanne Meyer (*1953 in Hamburg) als Ausgangspunkt für ihren Ideen- und Zeichenprozess. So sind dies etwa vorgefundene, collagierte Bildelemente aus einem DDR-Heimwerkerhandbuch aus den 1960er-Jahren, die sie zur Blätterserie Quer zur Faser (2001/2002) inspirierten. Ob mit seinen Fotografien, Zeichnungen oder den beiden in der Ausstellung gezeigten Gouachen Ohne Titel (1990) – bestimmend für die Arbeiten von Jürgen Klauke (*1943 in Kliding bei Cochem) ist die Beschäftigung mit gesellschaftlich normierten Identitäten und sozialen Verhaltensmustern.

Die Dreikanal-Videoskulptur Die Geschichte der Frau in der Nachkriegszeit (1991) von Ulrike Rosenbach (*1943 in Bad Salzdetfurth) setzt sich mit den kulturhistorischen Implikationen westlich geprägter weiblicher Rollenbilder und Mythen des Weiblichen auseinander. Hierfür greift sie auf historisches Bildmaterial aus Wochenschauen, Revuefilmen und Zeitschriften sowie populäre Schlager zurück, überblendet diese mit eigenen Videoproduktionen, in denen sich die Künstlerin selbst als Filmikone inszeniert, und eröffnet so neue Möglichkeiten einer femininen Ikonografie. Im selben Raum befragt Brigitte Kowanz (*1957 in Wien), deren Lichtarbeit das Verhältnis von Raum, Betrachter und Unendlichkeit thematisiert, den konventionellen Bildbegriff in der Kunst. Die Arbeit excit (2015) zeigt auf einem spiegelnden Untergrund eine von Neon erstrahlende Lichtquelle. Als eigenständiges Phänomen formt sie den im Titel festgehaltenen Ausdruck der Erregung – im Englischen ›to excite‹ – in einem Schriftbild nach, das an die englische Bezeichnung für Ausgang – ›exit‹ – erinnert. Gemeinsam mit Erwin Wurm hat Kowanz 2017 den Österreichischen Pavillon auf der Biennale von Venedig gestaltet.

EBENE 2

Gregory Crewdson (*1962 in New York City) deutet mit seinen an filmische Bildstrategien angelehnten Inszenierungen Geschichten an, deren Fortsetzung und Ausgang er der Vorstellung des Betrachters überlässt. Damit möglichst viele Assoziationen und Gedanken an die Wahrnehmung anknüpfen können, lässt er seine Figuren weitgehend emotionslos auftreten. Seine Bildsujets sind düster und entlarven das Idyll eines kleinstädtischen Amerikas als bedrohliches Trugbild. Die im selben Raum gezeigten Bildkompositionen von Ann-Kathrin Müller (*1988 in Nürtingen) gehen dem narrativen Potenzial von Bildpraktiken auf den Grund. Für ihre schwarz-weiße Fotoserie Die Exposition (2015/2016) greift sie auf bekannte Werbe- und Filmmotive zurück, die sie genau analysiert und neu in Szene setzt. Kõhei Yoshiyuki (*1946 in Hiroshima) macht den Betrachter zu einem Voyeur nächtlicher Sexaktivitäten hetero- und homosexueller Paare in einem öffentlichen Park Tokios. Mit der rigorosen Indiskretion der mit einer Infrarotkamera aufgenommenen Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Serie Kõen (1971 – 1979) berührt der japanische Künstler nicht nur eine kulturell bedingte Tabu-Zone, sondern verdeutlicht zudem, dass jeder Fotografie ein voyeuristischer Akt vorausgeht.

Die präzise inszenierten Fotoarbeiten und Videos von Tracey Moffatt (*1960 in Brisbane) behandeln sowohl persönliche Erinnerungen und Traumata, als auch Themen wie Identität, Rasse, Gender und Sexualität. Auf der 57. Biennale in Venedig bespielt sie in diesem Jahr mit der Arbeit MY HORIZON den Australischen Pavillon. Mit ihren Werken operiert sie im Grenzgebiet zwischen Traum und Wirklichkeit – Ausgangspunkt ist dabei häufig ihre eigene, mit der Kolonialisierung Australiens verbundene Geschichte. Während Moffatt aufgrund ihrer indigenen Vorfahren mit Australien tief verwurzelt ist, blickt Rosemary Laing (*1959 in Brisbane) als Nachfahrin britischer Kolonialisten mit Distanz auf den Kontinent. In ihrer fotografischen Werkserie One Dozen Unnatural Disasters in the Australian Landscape (2003) thematisiert sie bildgewaltig die Gräuel, denen sich die Aborigines-Völker von der Kolonialzeit bis heute ausgesetzt sehen. Wie Rosenbach beschäftigt sich auch Shirin Neshat (*1957 in Qazvin, Iran) mit weiblichen Rollenbildern, bei Neshat ist es die weibliche Existenz in einer muslimisch geprägten Welt. In den großformatigen Aufnahmen der Serie Women of Allah (1995) inszeniert sie im Tschador gekleidete Frauen mit Waffen und streift damit ein bis in die Gegenwart oftmals tabuisiertes Thema. Neshat reizt hier Gegensätze aus: Die Fotografien zeigen Weiblichkeit und Gewalt, die Frauen sind bewaffnet und erscheinen doch wehrlos.

Den Abschluss auf dem zweiten Geschoss bilden Fotografien von Candida Höfer (*1944 in Eberswalde) und Annette Kelm (*1975 in Stuttgart). Ordnungssysteme interessieren Candida Höfer in ihren Architekturfotografien, von denen die Sammlung Klein beispielhaft für ihre neueren Arbeiten zu Bibliotheken das großformatige Werk Real Gabinete Português de Leitura Rio de Janeiro IV (2005) besitzt. Die beiden mehrteiligen Fotoarbeiten von Annette Kelm in der Sammlung Klein – Michaela Coffee Break (2009) und Lucie (2016) – thematisieren das Porträt. In frontaler Aufnahme zeigen sie Posen von Frauen. Vergleicht man die Fotografien miteinander, so entdeckt man in jeder Wiederholung Differenzen.

EBENE 3

Die stilistische Vielfalt der Gattung Malerei erschließt sich auf der dritten Ausstellungsebene des Kubus. Gottfried Helnwein (*1948 in Wien) ist mit seinen fotorealistischen Gemälden von malträtierten Kindern in den 1970er-Jahren bekannt geworden. Leid und Qual, häufig verknüpft mit kindlicher Unschuld, sind bis heute die vorherrschenden Themen des österreichischen Künstlers geblieben, etwa in The Disasters of War 1 (2007), auf dem ein aus dem Dunkel ins Licht tretendes, angsterfülltes Mädchen auf eine blutrot gefärbte Figur, ihr Alter Ego, blickt. Außerdem in der Ausstellung zu sehen, ist das Gemälde Dark Hour (2003), das drei skeptisch, zugleich erwartungsvoll dreinblickende Männer gegenüber einer Donald-Duck-Figur um einen Tisch versammelt. Wie bei Helnwein verwischen auch in den Werken von Karin Kneffel (*1957 in Marl) die Gattungsgrenzen von Malerei und Fotografie. Die Künstlerin spielt in ihren großformatigen Bildern mit perspektivischen Illusionen, die häufig ad absurdum geführt werden. Spiegelungen, Verzerrungen und der Blick durch getrübte Fensterscheiben stellen malerische Effekte dar, um Sehgewohnheiten einer Prüfung zu unterziehen.

Wo es Kneffel um Illusion und tiefenräumliche Bilderzählungen geht, stellt Franziska Holstein (*1978 in Leipzig) die Malerei selbst infrage. Sie bricht die Maloberfläche auf und heraus. In dem fast vier Meter breiten Gemälde Ohne Titel (Fernseher, Pflanze) (2008), das sich mit dem Leben in der ehemaligen DDR beschäftigt, werden die Gegenstände und Motive durch opake Farbschichten zurückgedrängt – diese weisen den Betrachter immer wieder darauf hin, dass er ein Gemälde vor sich hat. Markus Oehlen (*1956 in Krefeld) verhilft der Malerei zu neuen Ausdrucksformen, indem er ihr mit dem Mittel der Linie begegnet. Bereits vor dreißig Jahren spielte er mit wellenförmigen Strukturen und Bildschichten wie in seiner in der Ausstellung vertretenen Arbeit Ohne Titel (1986). Diese Gestaltungsmittel werden in jüngeren Arbeiten wie Poor Boy (2012) durch computerbasierte Verfahren und reproduktive Techniken aktualisiert und verfeinert.

In seinem großformatigen Panorama o. T. (2012) nutzt Michael Wutz (*1979 in Ichenhausen) die Möglichkeiten von Aquarell und Tusche, um Sediment- und Eruptivgesteine in ihren vielfältigen Ablagerungen darzustellen und detailreich eine apokalyptische Landschaft einzufügen, auf der Gebeine und Totenschädel verstreut liegen. Die fiktive Landschaft erinnert entfernt an die Kraterlandschaften des Nördlinger Rieses, wo der Künstler aufgewachsen ist. Die Malerei von David Schnell (*1971 in Bergisch Gladbach) enthält sowohl figurative als auch abstrakte Elemente. Die sich im Hintergrund von Pista dʼOro (2013) abzeichnenden Landschaften mit dem architektonischen Versatzstück einer leerstehenden Villa aus der Mussolini-Zeit werden überlagert von einer farbgewaltigen Ebene abstrakter Linien und Flächen. Auch Corinne Wasmuht (*1964 in Dortmund) bedient sich einer Maltechnik, bei der verschiedene Farbschichten auf Holz aufgetragen werden. Durch die Überlagerung von Strukturen und Perspektiven, bei der Bilddetails immer sichtbar bleiben, bringt Wasmuht die Simultaneität verschiedener Zeit- und Raumebenen in ihrer Malerei zur Deckung.

Haengung #14

Spots. Stripes. Bands. And circles time after time, showing various centres in the image overall. Organic areas and lines, but also graphic patterns, set in contrasts of strong colours or in harmonious colour tones. Initially, we can describe the painting of the Australian Aborigines only in abstract terms. Yet their art is not without objective. It is a testament to an ancient culture, which has developed visual ciphers for interpretation of the real world.

#14

The Aborigines settled in Australia over 50,000 years ago and formed many language groups. All lived as hunter-gatherers. They shared the tenets of a world view that traced humans and nature to the same origins, namely the creative forces established in the land itself. Humans had special responsibility for the land, which they met through ceremonies and through sustainable everyday action.

Artistic forms of expression were an essential part of traditional life. They are handed down to the present day in the form of rock paintings and petroglyphs but – as ritually created ground pictures, as body painting or dance crests – they were mostly extremely transient. As many traditions were holy and secret, they remained largely unknown to the new European/American immigrants until the mid-20th century.

The use of industrial paints and modern, mobile primers goes back to 1972, when ritual specialists in Papunya began to convert parts of their special tradition into new image formats, which are set out like mythical maps. The basic subject was and is the land, the specific form of which – mountain ranges, lakes, waterholes or trees – stems from creative beings. Even today, their power must and can be activated in these places for the present time. To the artists, the right – true – implementation of their respective specific traditions is more important than aesthetic criteria. However, this does not prevent them from experimenting with different artistic possibilities and forging new paths.

#TOUR

LEVEL 1

On level 1 works are assembled, which refer in their creative form to the beginnings of Aborigine painting in the 1970s. These are contrasted with five works on wood by Ngipi Ward (Patjarr, Kayili Artists) and Kanta Kathleen Donnegan (Tjuntuntjara, Spinifex Art Projects). The works, which were created in 2013 and 2014, demonstrate the spectrum established even in the 1970s between comprehensive „documentation“ of a region with its sacred places and the specific local view and its seasonal changes. Ngipi Ward’s pictures relate to the Kuluntjarra salt lake and to the changing vegetation of the Gibson Desert, whilst Kanta Kathleen Donnegan’s painting represents the paths of the ancestor creators around Kapi Piti Kutjara.

Contrasted with these are works by painters from different regions. Almost without exception, they are dedicated to the major subject of the tingari cycle, which „belongs to all men“ and which describes both the creation of the land and many cultural traditions. The sculptures can convey scenic attributes or movement through lines, precise dotting or structures in the paint application. This is how George Yapa Tjangala constructs his work on the rock holes of a secret tingari site in Tarkulgna from rectangular shapes and with a conservative pallet. More intense in colour is the sculpture by Patrick Tjungurrayi, created in 2008. In his journey to Myililli, he uses a finely graduated pallet of yellow and orange tones contrasted with pink and light blue/grey. With dots, he forms irregular stripes, which he varies internally with rectangles. By illustrating their root system, Joseph Jurra Tjapaltjarri conveys with few colour nuances and differently curved, almost spidery lines the wealth of edible tubers that was available to the tingari women at their resting place in Yunala. Ray James Tjangala gives an almost serial impression to his representation of tingari men’s storage locations north and west of Kintore, where they dug up the roots of the bush bananas commonly found here.

LEVEL 2

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Aboriginal Art - Kunst der Aborigines - Silvia Ken - Seven Sisters - 2011 - tjukurrpa der Honigameise

A large proportion of the works on level 2 were painted by women. They have their own pictorial traditions and content, focus on the fertility of the land, take up specific forms of body painting, or refer to dances that are associated with sacred places.

From Amata, the Tjala Arts art centre, come pictures by Sylvia Ken and a communal work by sisters Yaritji Young, Tjungkara Ken, Freda Brady, Sandra Ken and Marinka Tunkin.

The content of the painting by Silvia Ken is the story of the Seven Sisters, which is portrayed in many women’s dances and associated with the Seven Sisters of Pleiades. The subject of the communal work is the tjukurrpa of the honey ant.

The pieces by Ngupulya Pumani and Tuppy Ngintja Goodwin, both of whom work in Myillili in the art centre Mimili Maku Arts, refer to the tjukurrpa of an important foodstuff for the nomadic Aborigines: the witchetty grub. Whereas Tuppy Goodwin also shows the wider surroundings around the ceremonial site of Antara, Ngupulya Pumani incorporates into her composition the women whose dances cause the grubs to multiply: represented in the form of semicircles highlighted by the shimmering of the dots.

Alongside two paintings by the now legendary Emily Kame Kngwarreye from Utopia, the pictures of Sally Gabori and May Moodoonuthi in particular display a very individual style. Both belong to a senior group of painters on the Mornington Islands in Northern Australia. Like Emily Kame Kngwarreye, they came into contact with canvas and paints only at an older age and burst open our idea of the nature of Aborigine painting. They work with powerful brushstrokes and strong colours: May Moodoonuthi in connection with traditional body painting and grief scars; Sally Gabori in memory of the island of her childhood, which she translates into painting with layers of colour and big gestures.

Against the strongly coloured paintings, one series of works sets its own accent in the exhibition: they have a graphical nature. Their effect is characterised by the black/white contrast – painted by men and referring to the Tingari cycle.

A number of works on level 2, which come from Kimberley in the north of Western Australia, appear similarly reduced in colour. The late Rover Thomas and the artists still active from Warmun blend their own colours from local ochre, charcoal and pipeclay. The otherwise frequently used dots are used only sparingly in their work, to delimit areas. Their subject is also the land, its power, its “bones”, often coupled with personal, emotional experiences or with historic events that resonate in the works but are revealed only rarely.

With the selection of works, the exhibition aims to show the vitality in the development of Aborigine painting. The artists do not content themselves merely with reproducing painting traditions of local origin; more than ever, they are in dialogue with each other and with urban centres and they are challenged to develop their own forms of expression from their conventions, from their visual and auditory memory, and from external stimuli.

For this exhibition, a 60-page catalogue, Hängung #14 – NEUE BILDER Malerei der Aborigines (Hanging #14 – NEW PICTURES, Painting of the Aborigines), has been published with a text by curator Dr Ingrid Heermann of Stuttgart.

60 pages. 8,00 EUR.

 

Hängung #16

Seit 2009 lobt die Alison und Peter Klein Stiftung den Stiftungspreis Fotokunst in unregelmäßigen Abständen aus. Er ist mit 10.000 Euro dotiert und dient der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern, die in Deutschland leben und der jüngeren und mittleren Generation angehören. In der Ausstellung zum Stiftungspreis Fotokunst 2017 werden dreizehn Künstlerinnen und Künstler präsentiert, die für den Preis nominiert wurden und in die engere Auswahl der Fachjury gekommen sind. Ihre Arbeiten reflektieren in unterschiedlicher Weise das inhaltliche Spektrum von open minded.

#16

Der Titel des Stiftungspreises open minded umfasst eine Reihe von Bedeutungen: (welt)offen, aufgeschlossen zu sein, vorurteilsfrei dem Anderen und Neuen zu begegnen. In allgemeinster Weise lässt sich das Thema auf die Ausstellung im KUNSTWERK selbst beziehen, gibt sie doch Anlass, sich mit den eigenen Erwartungen und dem eigenen Verständnis des Mediums Fotografie auseinanderzusetzen. Des Weiteren eröffnet sich inhaltlich ein Feld, das den Fokus auf das „Fremde“ richtet, zugleich aber auch zu einer veränderten Wahrnehmung dessen auffordert, was bekannt und vertraut erscheint. Der im Titel liegende Aspekt, zur Prüfung überkommener Sichtweisen bereit zu sein, führt auch zu Fragestellungen in Hinblick auf die Fotografie selbst, die sich heute im Kontext von Neuen Medien und technischen Bedingungen zu positionieren hat.

Die Jury, 2017 bestehend aus Dr. Agnes Matthias, Sandro Parrotta, Prof. Ricarda Roggan, Prof. Dr. Bernd Stiegler und Valeria Waibel, hat sich entschieden, den Preis zu teilen. Ausgezeichnet werden künstlerische Positionen, die auf sehr unterschiedliche und je eigene Art eine individuelle fotografische Bildsprache gefunden haben und zugleich das Medium Fotografie in unverwechselbarer Weise prägen. Vergeben werden drei Hauptpreise an Bernhard Fuchs, Adrian Sauer und Sebastian Stumpf sowie ein Förderpreis an Ann-Kathrin Müller.

#RUNDGANG

Ebene 1 | Fotografie als Erkundungsraum

Sebastian Stumpf erkundet in seinen Serien eine besondere Form der Fotografie, die eine deutliche Nähe zur Performance-Kunst aufweist. Die Aufnahmen halten einen besonderen Augenblick fest, in dem der Körper in seiner Umgebung in origineller, witziger, zugleich aber auch irritierender Weise in Szene gesetzt wird. In der Ausstellung zu sehen sind Sequenzen aus den Serien Sukima (2009), Zenit (2016) sowie eine Arbeit aus Highwalk (2015).

Adrian Sauer unternimmt in seinen Arbeiten eine ebenso radikale wie überzeugende Reflexion der Fotografie als Medium im Zeitalter der Digitalisierung. Seine gegenständlichen Bilder in der Ausstellung, die Wolken oder Feuerwerke zeigen, bearbeitete er mit eigens entwickelten Computerprogrammen, die ihm weit über die Bildbearbeitungssoftware Photoshop hinausgehend erlauben, jeden Farbpixel präzise zu bearbeiten und damit die gesamte Farbpalette zu kontrollieren.

Ebene 2 | Dimensionen des Dokumentarischen

Auf der Galerie der Ebene 2 veranschaulicht der Fotoroman Lauter Steine von Ülkü Süngün die Geschichte eines Flüchtlingspaares zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Beruhend auf einer Begegnung in der Asylunterkunft in Kirchheim unter Teck begleitet die Künstlerin den georgischen Steinmetz Sergio Pipa, der aus seiner kunsthandwerklichen Fähigkeit, Reliefs in Flusskiesel zu schneiden, Mittel zur medizinischen Behandlung seiner kranken Frau erwerben will.

In der vorderen Passage der Ebene 2 stehen sich zunächst die Werke von Bernhard Fuchs und Göran Gnaudschun gegenüber. Bernhard Fuchs erkundet in seinen Serien zumeist seine oberösterreichische Heimat. Entstanden sind Portraits sowie Aufnahmen von Autos, Waldungen, Straßen, Wegen und Höfen von großer Subtilität, Eindringlichkeit und Intensität. Exemplarisch werden in der Ausstellung Ausschnitte aus den Serien Höfe und Wege präsentiert.

Göran Gnaudschun richtet mit seinen Fotografien aus der Serie Alexanderplatz den Blick auf eine Randgruppe der Gesellschaft, die beiläufig wahrgenommen wird, aber fremd bleibt. Mit eindrücklichen und würdevollen Porträts sowie mit Texttafeln gibt er Außenseitern Gesicht und Geschichte. Er bietet eine Begegnung mit Gestrandeten, Freaks, Punks, die an irgendeiner Stelle ihres Lebens die Abzweigung in die „Platte“ nahmen.

Im Hauptraum begegnen sich die Werke von Ann Kathrin Müller und Wataru Murakami. Die Schwarz-Weiß-Fotografien von Ann-Kathrin Müller stellen als einzelne und als präzise geplante Serie die Komposition in den Mittelpunkt der fotografischen Arbeit. Motivische und formale Referenzen zu Film, Mode- oder Werbefotografie schaffen beim Betrachten eigene Assoziationsräume. Der inhaltliche Zusammenhang der Bilder deutet sich in Texten der Künstlerin an, bleibt aber dennoch offen.

Die Arbeiten von Wataru Murakami erwachsen aus seiner interkulturellen Identität. Sein Leben in der fernöstlichen und westlichen Welt prägt den Blick bei seiner Auseinandersetzung mit dem Genre der Stillleben-Fotografie. In seinem mehrjährigen Still Life Project hebt er Objekte, Räume Menschen aus dem Kontext von Arbeitsprozessen heraus. Gezeigt werden Booklets und Bildtafeln von At a Studio: Restauration, Inside Urban Space: Sort, Work, Distance and Light und Himi City.

In der zweiten Passage werden Fotoserien von Pepa Hristova und Johanna Diehl präsentiert. Pepa Hristova ermöglicht eine Annäherung an das Cross-gender-Phänomen der Sworn Virgins. In der Abgeschiedenheit der Berge Albaniens hat sich die aus dem Mittelalter stammende Tradition erhalten, dass Frauen nach dem Schwur lebenslanger Jungfräulichkeit die Rolle von männlichen Familienoberhäuptern übernehmen. Sie erhalten den Status und die Rechte von Männern und nehmen auch in ihrem Aussehen immer stärker männliche Züge an.

In der Architekturfotografie von Johanna Diehl werden Umwidmungen und Überschreibungen in der Nutzung der Gebäude und damit Geschichte sichtbar. In ihrer Ukraine-Serie hat sich die Künstlerin auf die Suche nach Synagogen gemacht, die seit der Ermordung und Vertreibung der Juden während des Zweiten Weltkriegs zu Turnhallen, Kinos oder Ladengeschäften umgenutzt und umcodiert wurden.

Ebene 3

In der ersten Koje der Ebene 3 zeigt Regine Petersen einen Auszug aus ihrer Serie Find a Fallen Star. Die fotografischen Erkundungen und Recherchen der Künstlerin finden an Orten von Meteoriteneinschlägen statt, die vor Jahren oder Jahrzehnten stattgefunden haben. Die menschliche Dimension eines Alltagslebens abseits großer Zentren kontrastiert mit dem kosmischen Ereignis von ungeheurer Tragweite.

Die Werkgruppe The Citizen von Tobias Zielony – in der zweiten Koje – geht auf ein Projekt mit politisch aktiven Migrantinnen und Migranten in Berlin und Hamburg zurück. Die in der Ausstellung präsentierte Sequenz stellt die im Sengal verfolgte Menschenrechtlerin Napuli Langa während einer Aktion in Berlin vor. Zielony geht über das Dokumentarische hinaus, indem er die großformatig arrangierten Fotografien durch Bilder und Texte im Zeitungsformat ergänzte und zugleich Redaktionen in den Heimatländern gewinnen konnte, welche die Porträts zur Grundlage eigener Artikel machten.

Im vorderen Teil der Galerie stellt Inga Keber mit ihren Arbeiten die Frage nach der „Natur“ der Fotografie. Mit bewusster Unschärfe wendet sie sich gegen das Verständnis von Fotografie als detailgetreue Entsprechung des Abgebildeten. Zugleich untergräbt sie in der seriellen Darstellung eines Motivs die Vorstellung, dass die Reproduktion einer Fotografie identische Ergebnisse hervorbringe. An verschiedenen Druckern ausgedruckt, wird jeder finale Abzug, jede Kopie zum Original.

Die Fotografien von Björn Siebert tragen den Untertitel Remake. Als Vorlage dienen ihm Schnappschüsse, die er in Bildforen im Internet findet und auswählt. Im Original oft beiläufig aufgenommen und belanglos, wird das vorgefundene Motiv von ihm in akribischer Weise re-inszeniert und mit analoger Technik in den Bereich der künstlerischen Fotografie transformiert.