Kategorie: Allgemein

Rundgang #27 DE

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#RUNDGANG

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EBENE 1 | HELENA PETERSEN

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Helena Petersen
Pyrographie Colour XXXVII, 2014, Fotogramm, C-Print, 102,6 x 156 cm, ©Helena Petersen

Manche Nachricht, manches Ereignis trifft einen wie ein Blitz. In Bruchteilen von Sekunden ahnt man im Innersten – sprachlos – die existenzielle Tragweite des erlebten Moments, sei es im Guten oder im Schlechten. Helena Petersen verbildlicht in ihrer Arbeit gerade jene schicksalhafte Erfahrung, die wir alle kennen. Ihre Pyrografien entstehen ohne Kamera in einem verdunkelten Schießstand. Als Fotogramme zeichnen sie das Licht von Mündungsfeuern auf und schließen Schmauchspuren ein. Das Ergebnis ist nicht kontrollierbar und nicht vorherzusehen.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Helena Petersen
Pyrographie Colour LXXV, Diptychon, 38,8 x 56,8 cm / Pyrographie Colour LIII, Diptychon, 49 x 69,7 cm, jeweils 2015, Fotogramm, C-Print, ©Helena Petersen

Ebe

EBENE 1 | BERIT SCHNEIDEREIT

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Berit Schneidereit
leise, 2021 / exhale, 2023, jeweils Cyanotypie auf Archivpapier, 41,5 x 33 cm, ©Berit Schneidereit, Courtesy die Künstlerin, Cosar / Düsseldorf und Jochen Hempel / Leipzig

Die konzeptuellen Arbeiten von Berit Schneidereit beinhalten mehrere Spannungsfelder, die sich in begrifflichen Gegenüberstellungen widerspiegeln. Digitale Aufnahmen von städtischen Parkanlagen oder botanischen Gärten werden zur Grundlage analoger Reproduktionen. Durch den Einschub von netzartigen Geweben während der Herstellung der Handabzüge verbindet sie die Fotografie mit der experimentellen Technik des Fotogramms, sodass letztlich zwei Ebenen verschmelzen, die das Verhältnis von Bildfläche und Bildraum thematisieren. Entsprechend begegnen sich in der Reihe ihrer Cyanotypien bildnerische Spuren von flüchtigen, dreidimensionalen Formationen mit malerisch-flächigen Aspekten, die dem Raum und der Zeit enthoben zu sein scheinen.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Berit Schneidereit
retouch II / retouch IV, jeweils 2021, Fotogramm auf Silbergelatinepapier, 142 x 97 cm ©Berit Schneidereit, Courtesy die Künstlerin, Cosar / Düsseldorf und Jochen Hempel / Leipzig

Ebe

EBENE 1 UND 2 | ALINA FRIESKE

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Alina Frieske
Variable Position, 2021, Archival Pigment Print auf Barytpapier, 160 x 123 cm, ©Alina Frieske, Courtesy Fabienne Levy Gallery, Lausanne, Schweiz

Ist das tatsächlich Fotografie oder vielmehr doch Malerei? Die Werke von Alina Frieske bestehen aus kleinen Fragmenten digitaler Aufnahmen. Zugrunde liegen dabei in sozialen Netzwerken kursierende Selfies, die als Akt der Selbstdarstellung das Private in die Öffentlichkeit tragen, jedoch durch ihre allgemeine Verfügbarkeit sowie die Wiederholung von Bildmustern ihren persönlichen Charakter verlieren. Die aus der Collagetechnik resultierende malerische Geste führt die aus dem kollektiv vorhandenen Material produzierten Bilder auf die traditionelle Funktion des Porträts als individuelle bildnerische Repräsentation zurück und setzt beide Aspekte spannungsvoll zueinander in Bezug.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Alina Frieske
Lurking Lizard / Green Light / The Missing Part, jeweils 2022, Archival Pigment Print auf Barytpapier, 64 x 52 cm, ©Alina Frieske, Courtesy Fabienne Levy Gallery, Lausanne, Schweiz

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EBENE 2 | MORITZ PARTENHEIMER

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Moritz Partenheimer
Jupiter I, 2013, C-Print, 128 x 109 cm ©Moritz Partenheimer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Moritz Partenheimer
Jupiter II, 2013, C-Print, 128 x 109 cm ©Moritz Partenheimer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Moritz Partenheimer
Jupiter III, 2013, C-Print, 128 x 109 cm ©Moritz Partenheimer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ein Parkplatz in Jupiter, Florida: eigentlich ein Nicht-Ort, ein Ort ohne Geschichte, ohne Identität, nachts verwaist. Moritz Partenheimer versteht es in seiner Fotografie, der menschenleeren Szenerie einen besonderen Zauber abzugewinnen. Mag man sich zunächst in ein vielleicht unheimliches, jedenfalls dramatisch ausgeleuchtetes Filmsetting versetzt fühlen, wird der Blick alsbald von den  formalen Korrespondenzen und den im Motiv begründeten haptischen Qualitäten gefesselt, die der Künstler mit seiner präzisen Lichtregie hervorhebt.

Ebe

EBENE 2 | JETTE HELD

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Jette Held
Ein Tag in der Tränke, 2020, 3-teilig, jeweils Inkjet-Print, 150 x 110 cm, ©Jette Held

Jette Held widmet sich in ihrer Arbeit dem Genre der Naturfotografie, jedoch ohne den gängigen Bildmustern und Darstellungsabsichten zu folgen. Wie sie selbst sagt, ist die Fotografie für sie ein Werkzeug, um ihre unmittelbare Umgebung und Heimat im Harz zu erforschen. Sie taucht im wörtlichsten Sinne in die landschaftlichen Gegebenheiten ein, wenn sie – über die Jahre hinweg – ihre Aufnahmen unter Wasser in einem Weiher macht oder in einem aufgestauten Bach, der als Kuhtränke dient. Unerwartete, rätselhafte Bilder entstehen so auch als Fotogramme: auf dem Barytpapier gezeichnet von der Brechung des Lichts im fließenden Wasser.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Jette Held
Mitt-Sommer/Winter-Nacht in der Tränke, 2021, aus 15-teiliger Serie, jeweils Fotogramm,s/w-Baryt-Handabzug, ungerahmt, 60 x 50 cm © Jette Held

Ebe

EBENE 2 | LIA DARJES

ne 1 | NINA RÖDER

Die Pracht barocker Stilllebenmalerei klingt an in den kunstvoll ausgeleuchteten Fotografien von Lia Darjes. Doch der Erwartung überbordender Fülle entsprechen sie nicht. Genauso wenig sind sie – wie man angesichts des stets dunklen Hintergrunds meinen könnte – dem Ort und der Zeit entrückt. Die Künstlerin hat die Stillleben ihrer Fotoserie Tempora Morte bei Studienaufenthalten in der russischen Exklave Kaliningrad aufgenommen. Sie zeigen das Wenige, das Menschen an improvisierten Marktständen feilbieten können, um ihr karges Einkommen aufzubessern: Früchte und Blumen aus ihren Gärten, Fische und Eingemachtes, manchmal ein Stück Fleisch.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Lia Darjes
Stillleben mit Drosselbeeren, 2014, 59 x 46 cm, Archival Pigment Print ©Lia Darjes
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Lia Darjes
Stillleben mit Dahlien und Johannisbeeren, 2016, 71 x 56 cm, Archival Pigment Print ©Lia Darjes
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Lia Darjes
Stilleben mit Fleischstück, 2016, 85 x 67 cm, Archival Pigment Print ©Lia Darjes

Ebe

EBENE 2 | MONIKA ORPIK

ne 1 | NINA RÖDER

Stepping Out Into This Almost Empty Road lautet der Titel eines Buchprojekts von Monika Orpik. Es verbindet Fotografien, die zwischen 2020 und 2022 im polnischen Grenzgebiet zu Belarus aufgenommen wurden, mit auf Interviews basierenden Texten. In der idyllischen Umgebung des Białowieża-Naturparks, der zu einem Brennpunkt der gegenwärtigen Weltpolitik geworden ist, erzählen Angehörige der dort lebenden weißrussischen Minderheit und Asylsuchende von ihren Erfahrungen der Migration. Zugleich reflektieren die Fotografien deren Versuch, in der dauerhaften oder vorübergehenden Bleibe eine neue soziale Gemeinschaft zu bilden.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Monika Orpik
aus der 9-teiligen Serie Stepping Out Into This Almost Empty Road, 2020-22, Silbergelatine-Prints, 30 x 40 cm. ©Monika Orpik
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Monika Orpik
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Monika Orpik

Ebe

EBENE 2 | MARTINA SAUTER

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Martina Sauter
day 3.2., 2021, Print auf Vliestapete, ca. 290 x 370 cm / day 3.3, 2021, Inkjet Print auf HM Fine Art Papier, 50 x 67,5 cm / day 2.1, 2021, Inkjet Print auf HM Fine Art Papier, 50 x 67 cm, ©Martina Sauter, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Die Bilder, die in der installativ präsentierten Werkreihe News:Fiction von Martina Sauter meist paarweise angeordnet sind, gleichen sich. Einander gegenüber stehen Momentaufnahmen und Ausschnitte realer und fiktiver Handlungsverläufe. Während der Corona-Pandemie veröffentlichte Zeitungsfotos, Filmstills aus der Psychothriller-Serie Fortitude des britischen Fernsehens und Aufnahmen der Künstlerin sind durch den Blauton des in den Produktionsprozess einbezogenen Verfahrens der Cyanotypie der Zeitlichkeit enthoben und abstrahiert. Im Zusammenspiel erzeugen sie eine spannungsvolle, wirklich-unwirkliche Szenerie, welche beim Betrachten Erinnerungen und innere Bilder mit eigenem Plot freisetzt.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Martina Sauter
day 5.2, 2023, 30 x 29 cm / day 1.1, 2021, 50 x 74 cm, jeweils Inkjet Print auf HM Fine Art Papier, ©Martina Sauter, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ebe

EBENE 2 | SARA-LENA MAIERHOFER

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Sara-Lena Maierhofer
Museum Rietberg, Zürich, 2020, Fotoemulsion auf Plexiglas, 80 x 62 x 4 cm, © Sara-Lena Maierhofer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Sara-Lena Maierhofer
Tropenmuseum, Amsterdam, 2020, Fotoemulsion auf Plexiglas, 95 x 72 x 5 cm, © Sara-Lena Maierhofer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Abbildungen afrikanischer Masken schreiben sich in dreidimensionale Modelle von Grundrissen ethnologischer Museen ein. Farb-Fotogramme zeigen Regale, in denen sich ethnologische Artefakte mit hellen, unscharfen Schatten vor dem dunklen Grund abzeichnen. Sara-Lena Maierhofer setzt sich in ihrer 2017 bis 2021 entstandenen Werkreihe Kabinette mit Fragen zum Umgang mit dem kolonialen Erbe auseinander und begibt sich sozusagen in das Innere der musealen Einrichtungen. Mit ihren beiden künstlerischen Strategien der Fotoskulpturen und Fotogramme richtet sie den Blick gleichermaßen auf Aspekte der Präsentation und des Verwahrens der Objekte im institutionellen Kontext.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Sara-Lena Maierhofer
Regal (Rautenstrauch-Joest-Museum), 2021, Fotogramm aus mehreren Teilen, ungerahmt, 230 x 270 cm, © Sara-Lena Maierhofer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ebe

EBENE 3 | ALWIN LAY

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Alwin Lay
Kodak 200 (Mono), 2019, Latexdruck auf Vliestapete, 272,5 x 370,5 cm, ©Alwin Lay, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

In den Fotografien von Alwin Lay werden gewöhnliche Objekte und Alltagsgegenstände zu Akteuren. Skulptural ins Bild gesetzt, scheinen sie ein Eigenleben zu entwickeln, das auf den jeweiligen materiellen Beschaffenheiten und Funktionsweisen beruht, sich allerdings den üblichen Erwartungshaltungen, die wir mit den Objekten verbinden, entgegenstellen. Das Rätsel, wie seine Bilder entstehen, wird nicht offengelegt. – Die vermeintlich eindeutige Referenz des Motivs zu einem realen Gegenstand oder Geschehen erscheint ironisch gebrochen, sodass Vieles von dem, was wir über Fotografie zu wissen meinen, ins Wanken gerät.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Alwin Lay
ZIP TIE (s), 2017 / Die Blase, 2018, jeweils Fine Art Print, 50 x 40 cm, ©Alwin Lay, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ebe

EBENE 3 | KATHRIN SONNTAG

ne 1 | NINA RÖDER

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Kathrin Sonntag
Sixpack - aus der Serie Körperteile / Herz - aus der Serie Körperteile / Zunge - aus der Serie Körperteile, jeweils 2020, Inkjetprint, 73 x 48,5 cm, Abbildung Galerie Kadel Willborn, Düsseldorf, ©Kathrin Sonntag und Galerie Kadel Willborn, Düsseldorf

Wie produktiv die menschliche Wahrnehmung ist und wie sehr sie sich mit inneren Vorstellungen und Assoziationen verknüpft, veranschaulicht Kathrin Sonntag in ihrer Werkreihe Körperteile. Fragmente von Statuen, die wir selbstverständlich zur Ganzheit des eigenen Körpers in Bezug setzen, treten neben Aufnahmen, in denen unbelebte Objekte den Anschein von Gliedmaßen und Organen erwecken – oder umgekehrt – Körperteile an Gegenstände denken lassen. Es entsteht ein Vexierspiel zwischen objektiver Wirklichkeit und subjektiver Interpretation, welches zugleich die Bedingungen und Wirkungsweisen der Fotografie hinterfragt.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Kathrin Sonntag
Koloss, 2020, Latexdruck auf Vliestapete, 300 x 216 cm, ©Kathrin Sonntag und Galerie Kadel Willborn, Düsseldorf

Ebe

EBENE 3 | JESSICA BACKHAUS

ne 1 | NINA RÖDER

Die Cut Outs von Jessica Backhaus strahlen mit ihrem leuchtenden Kolorit so als hätten sie all die Energie und die lebensbejahende Kraft der Farben und des Lichts in sich aufgenommen. Geometrische Figuren – von der Künstlerin aus transparenten Papieren geschnitten und auf monochromen Flächen arrangiert – entwickeln unter dem Einfluss der Sonne ein geradezu tänzerisches Spiel. Sie verformen sich, wölben sich auf, bringen farbliche Differenzierungen hervor, werfen scharfkantige Schatten. Mit dem Blick, der sich auf das Besondere im Zufälligen und vermeintlich Unspektakulären richtet, hält Jessica Backhaus die so nur für kurze Zeit bestehenden Konstellationen in Fotografien fest, die malerisch und poetisch wirken.

Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Jessica Backhaus
Cut Out 33, 2020, Archival Pigment Print, 112,5 x 75 cm, Abbildungen Jessica Backhaus, Courtesy Galerie Anja Knoess, Köln, ©Jessica Backhaus, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Jessica Backhaus
Cut Out 40, 2020, Archival Pigment Print, 112,5 x 75 cm, Abbildungen Jessica Backhaus, Courtesy Galerie Anja Knoess, Köln, ©Jessica Backhaus, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Kunstwerk Sammlung Klein, Stiftungspreis Fotokunst 2023, Hängung #27, Im Innern, Jessica Backhaus
Cut Out 4, 2020, Archival Pigment Print, 112,5 x 75 cm, Abbildungen Jessica Backhaus, Courtesy Galerie Anja Knoess, Köln, ©Jessica Backhaus, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Rundgang #26 DE

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Rund 100 Jahre liegen zwischen den beiden künstlerischen Positionen von Edward S. Curtis und Will Wilson, die in der Ausstellung … als würden allein diese Bilder bleiben unterschiedliche Perspektiven auf die Darstellung und Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas widerspiegeln. Ihre Werke setzen sich in Bezug zu populären Vorstellungen von „den Indianern“, die meist von den Erzählungen Karl Mays und deren Verfilmungen geprägt sind.

#26

Welche Bilder haben wir im Kopf, wenn wir einerseits von „ den Indianern“, andererseits von „Native Americans“ hören? Schon die unterschiedlichen Bezeichnungen der Ersten Amerikaner rufen verschiedene gedankliche Szenerien hervor. Wahrscheinlich kommen zunächst Spiele der Kindheit in Erinnerung, Bücher, Filme, in denen Winnetou und Old Shatterhand die Helden waren oder – wie bei Kindern heute – Geschichten von Yakari, die sie aus Comicverfilmungen kennen. Der zweite Begriff beinhaltet eine andere, zeitgenössische Perspektive, die jedoch weit weniger von Bildern besetzt ist als der erstere.
Woher kommen die über lange Zeit geprägten Vorstellungen von „den Indianern“? Wie stellen sie sich in der Sicht einer heutigen, indigenen Position dar? Das KUNSTWERK lässt dazu in der Ausstellung … als würden allein diese Bilder bleiben historische und zeitgenössische Fotografien sprechen. Sie bringt Fotogravuren, Fotoabzüge und Goldtone-Prints von Edward S. Curtis (1868-1952) in einen Dialog mit den – erstmals in Westeuropa präsentierten – Arbeiten des in Santa Fe lebenden Multimedia-Künstlers Will Wilson (*1969), der selbst Angehöriger der Navajo/Diné-Nation ist.

#RUNDGANG

Ebe

Ebene 1

ne 1 | NINA RÖDER

Ausstellungsansicht Ebene 1, Foto: Jochen Detscher

Wer in die Ausstellung im KUNSTWERK kommt, bringt gewissermaßen eigene, „innere Bilder“ mit. Die Vorstellung von „den Indianern“ ist in unserer Gesellschaft meist durch die Erzählungen von Karl May und deren Verfilmungen in den 1960-er und -70er Jahren geprägt. Auch wenn man weiß, dass sie auf einer literarischen Fiktion beruhen und in hohem Maße Klischees bedienen, bleiben sie dennoch Bestandteil der eigenen Identität.
Die Präsentation auf Ebene 1 spiegelt Gespräche mit Gästen im KUNSTWERK während der Vorbereitung der Ausstellung wider. Einige der Besucherinnen und Besucher stellten Exponate bereit, die ihre spontan geäußerten Assoziationen repräsentieren. Sie zeigen in durchaus zufälliger, exemplarischer Weise Bekanntes auf, führen aber auch zu manch neuen Entdeckungen.

Roger Willemsen - Karl May
Objektkasten mit dem Gedichtband von Roger Willemsen, Ein Schuss ein Schrei. Das Meiste von Karl May, 2005, sowie einem Hinweis auf die Lesung Ich bin nicht Karl May mit Roger Willemsen, Christian Brückner und Götz Alsmann im Rahmen der lit.COLOGNE 2006

Ebe

Ebene 2: EDWARD S. CURTIS

ne 1 | NINA RÖDER

Edward S. Curtis Selbstportrait
Edward S. Curtis, Selbstporträt, 1899, Fotogravur auf Papier

Mit seiner zwischen 1907 und 1930 erschienenen,  20-bändigen Enzyklopädie The North American Indian schuf Edward Sheriff Curtis ein unvergleichliches Lebenswerk, mit dem er sich in die Geschichte der Fotografie und in die der amerikanischen Nation eingeschrieben hat.
Der 1868 in Wisconsin geborene Fotograf, der im Alter von 23 Jahren nach Seattle zog und dort ein Studio für Porträt- und Landschaftsfotografie betrieb, widmete seine Arbeit seit  Ende des 19. Jahrhunderts den indianischen Kulturen Nordamerikas. Er besuchte mehr als 80 Stämme in den Reservationen des amerikanischen Westens und nahm mehr als 40.000 Fotografien auf. Gemeinsam mit Assistenten und Dolmetschern stellte er tausende Seiten mit Informationen über das Leben der indianischen Gemeinschaften zusammen, über die sozialen Strukturen, Sitten und Bräuche, ihre Glaubensvorstellungen und (kunst-)handwerklichen Arbeiten. Auf Wachswalzen zeichnete er Lieder und die verschiedenen Sprachen auf, die er in Notenschrift und Lautschriftzeichen übertrug.

 

Ausstellungsansicht Ebene 2, Foto: Jochen Detscher
Edward S. Curtis - Bears Belly
Edward S. Curtis, Bear’s Belly, um 1908, Fotogravur auf Papier, Portfolio-Mappe V, Tafel 150

Seine Feldforschungen fasste Curtis in hochwertigen Text-Bild-Bänden zusammen, die mit der finanziellen Unterstützung des Eisenbahn- und Bankmagnaten J.P. Morgan und dessen Sohn veröffentlicht werden konnten. Sie sind  teils einzelnen, zumeist aber mehreren indigenen Gruppen gewidmet und enthalten jeweils 75 Abbildungen. Zu den einzelnen Bänden gab Curtis jeweils Portfolio-Mappen heraus mit 35 ausgewählten Aufnahmen im Format 40 x 30 cm. Wie die Abbildungen in den Büchern wurden sie in der Tiefdrucktechnik der Fotogravur hergestellt.
Die meisten Exponate der Ausstellung im KUNSTWERK stammen aus 12 der insgesamt 20 Portfolio-Mappen. Aufnahmen kleineren Formats sind aufgelösten Text-Bild-Bänden entnommen.

 

Edward S. Curtis - Blanket Weaver - The North American Indian
Edward S. Curtis, The Blanket Weaver, um 1904, Fotogravur auf Papier, Portfolio-Mappe I, Tafel 34

Die schriftlichen Aufzeichnungen von Edward S. Curtis zu den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas werden in der weiteren Wahrnehmung seines Werks von der eindrucksvollen Wirkung seiner Fotografien überstrahlt. Es sind zunächst malerische, stimmungsvolle Aufnahmen, die von einer damals nicht selbstverständlichen Sympathie und Wertschätzung gegenüber der indianischen Bevölkerung und deren Kultur zeugen. Die Wirklichkeit in den Reservationen, die zunehmende Assimilation und den Einfluss des modernen Lebens vor Augen, ging Curtis gerade als Fotograf über das rein Dokumentarische hinaus, indem er in der Tradition des fotografisch-künstlerischen Piktorialismus atmosphärische und sorgsam komponierte Bilder schuf, die im Grunde die Verhältnisse vor der kulturellen Veränderung durch europäisch-amerikanische Einflüsse heraufbeschwören.

Edward S. Curtis - Watching the Dancers - The North American Indian
Edward S. Curtis, Watching the Dancers, um 1906, Fotogravur auf Papier, Portfolio-Mappe XII, Tafel 405
Edward S. Curtis - Replastering Paguate House - The North American Indian
Edward S. Curtis, Replastering Paguate House, um 1906, Fotogravur auf Papier, Portfolio-Mappe XVI, Tafel 576
Ausstellungsansicht Ebene 2, Foto: Jochen Detscher
Ausstellungsansicht Ebene 2, Foto: Jochen Detscher

Seltene Goldtone-Prints setzen einen Akzent in der Präsentation der Werke von Edward S. Curtis auf Ebene 2. Die auf Glasplatten reproduzierten Aufnahmen werden von einer goldfarben schimmernden Lackschicht hinterfangen, was der zweidimensionalen Fotografie eine besondere Tiefe und Transparenz verleiht. Hervorzuheben ist dabei das Bild mit dem Titel The Vanishing Race. Curtis selbst stellte das um 1904 aufgenommene Motiv als erste Abbildung seiner ersten Portfolio-Mappe voran. Es unterstreicht damit in programmatischer Weise, dass er – durchaus mit vielen Zeitgenossen übereinstimmend – die indianischen Kulturen im Verschwinden begriffen sah. Er wollte gewissermaßen festhalten, was es noch festzuhalten gab, ließ sich allerdings durchaus von seiner eigenen Vorstellung dessen, was „typisch indianisch“ sei, leiten.

Ebe

Ebene 3: Will Wilson

ne 1 | NINA RÖDER

Will Wilson - Selbstporträt - Self Portrait
Will Wilson, Will Wilson, Citizen of the Navajo Nation, Trans-Customary Diné-Artist, CIPX DAM 2013, 2013, Foto: Courtesy Will Wilson

Der 1969 geborene, in Santa Fe lebende Multimedia-Künstler Will Wilson – selbst Angehöriger der Navajo/Diné-Nation – antwortet mit seinen Projekten auf das bildnerische Erbe von Edward S. Curtis. Er stellt dessen Werken ein zeitgenössisches Narrativ gegenüber, das nicht nur vom Fortbestehen der indianischen Tradition und der darauf beruhenden, selbstbestimmten Identität der Native Americans zeugt, sondern auch den Blick über das Heute hinaus in die Zukunft richtet.
Wilson greift bewusst überkommene Bildmuster und historische Verfahren der Fotografie auf, gibt ihnen jedoch eine zeitgenössische Inhaltlichkeit. Gerade indem er eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, ist es ihm möglich, eine künstlerische Position zu beziehen, welche die Bedeutung der indigenen Überlieferung in ein neues Licht rückt.

Will Willson - Ausstellungsansicht - Installationview
Ausstellungsansicht Ebene 3, Foto: Jochen Detscher
Will Willson - Ausstellungsansicht - Installationview
Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Werken von Will Wilson, Talking Tintype: Tracey Rector, 2017 / Talking Tintype: Andy Everson, 2017 / Talking Tintype: Carla Kountoupes, 2014, je Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Jochen Detscher

2012 startet Will Wilson sein Projekt Critical Indigenous Photographic Exchange (CiPX). In Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften und verschiedenen Museen lädt er Nachfahren der von Edward S. Curtis Porträtierten dazu ein, von sich und ihrer Sicht auf die nach wie vor lebendige Tradition der indianischen Kultur zu erzählen. Für die Fotografien, die er dabei aufnimmt, nutzt er die historische Technik des Kollodium-Nassplatten-Verfahrens, das – vergleichbar mit dem späteren Polaroid – direkt auf der beschichteten Metallplatte entsteht. Wesentlich ist dabei ein neues Verständnis seiner Rolle als Autor. Über die bildnerische Repräsentation entscheidet jetzt nicht mehr – wie einst Curtis – der Fotograf. Alle Beteiligten bestimmen selbst, in welcher Kleidung, mit welchen Attributen ihr Bild aufgenommen wird und welche Geschichten sie erzählen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass sie gleich vor Ort die originale Ferrotypie ausgehändigt bekommen. Im Gegenzug erhält Will Wilson das Recht, die gescannten Bilder für seine künstlerische Arbeit zu nutzen.

Will Wilson - Talking Tintypes - Senator Enoch Haney
Will Wilson, Talking Tintype: Senator Enoch Haney, 2016, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Courtesy Will Wilson
Will Wilson - Talking Tintypes - Hopi
Will Wilson, Talking Tintype: Insurgent Hopi Maiden, 2015, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Courtesy Will Wilson
Will Wilson - Talking Tintypes
Will Wilson, Talking Tintype: Andy Everson, 2017, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Courtesy Will Wilson
Will Wilson - Talking Tintypes
Will Wilson, Talking Tintype: Casey Camp-Horinek, 2016, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Courtesy Will Wilson

Die Talking Tintypes in der Ausstellung unterstreichen nochmals Will Wilsons Position als Künstler des 21. Jahrhunderts sowie das dialogische Prinzip des CIPX-Projektes. Mit einer App, die auch anhand des hier dargestellten QR-Code heruntergeladen werden kann, sind mit dem Smartphone Videosequenzen abrufbar, sobald man die Kamera des Smartphones auf eine der Aufnahmen richtet. Die Talking Tinypes von Will Wilson vermitteln persönlich erlebte Begegnungen mit den dargestellten Akteurinnen und Akteuren, indem sie deren Stimmen und Aktionen mit der jeweils gegenwärtigen Lebenswelt der Betrachter*innen verknüpfen.

Will Wilson - Talking Tintypes
QR-Code Talking Tintype-App
Will Wilson - Talking Tintypes
Will Wilson, Talking Tintype: Timothy White Eagle, 2017, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Courtesy Will Wilson
Will Wilson - Talking Tintypes
Talking Tintype: Madrienne Salgado, 2017, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie, Foto: Courtesy Will Wilson

Erste Aufmerksamkeit in den USA erhält Will Wilson mit den Arbeiten seiner Serie Auto Immune Response (AIR), die 2004 einsetzt. Großformatige Bildpanoramen und Videoarbeiten zeigen einen männlichen Protagonisten in Landschaften, in denen jegliches Leben ausgelöscht ist. Wilson reflektiert darin zunächst die Folgen des umfangreichen Uranabbaus in der Navajo Nation Reservation von 1942 bis in die 1980-er Jahre hinein, verweist aber auch auf die aktuelle Veränderung der Umwelt im Zeichen des Klimawandels. Die Bildkonzeptionen der weiten Landschaften spiegeln ebenso wie die mit zeitgenössischem Equipment ausgestatteten Innenaufnahmen eines hogáns – der traditionellen Behausung der Diné –  eine gegenwärtige, indigene Perspektive wider, die sich mit ererbtem Wissen und neuester Technologie auf Fragestellungen von globaler Dimension ausrichtet.

Will Wilson - Auto Immune Response #2
Will Wilson, Auto Immune Response #2, 2005, Foto: Courtesy Will Wilson, ©Will Wilson
Will Willson - Ausstellungsansicht - Installationview - Auto Immun Response
Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Werken von Will Wilson, Auto Immune Response #4, 2005, Digitaldruck auf Klebefolie / im Hintergrund: Will Wilson, Auto Immune Response East, 2011, Video, 6:48 min., Foto: Jochen Detscher
Will Willson - Ausstellungsansicht - Installationview
Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Werken von Will Wilson, im Hintergrund: Auto Immune Response #2, 2005, Digitaldruck auf Klebefolie, Detail / Auto Immune Response West, 2011, Video, 5:12 min., Foto: Jochen Detscher

Tour Haengung #25

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From 19 June to 18 December 2022, the KUNSTWERK Sammlung Klein presents a show of international standing: a solo exhibition of the Irish-American artist Sean Scully (*1945). On display are paintings, pastels, etchings and drawings from around three decades that present essential leitmotifs of his abstract painting and convey the special quality of his pictures as events that can be experienced both sensually and emotionally. At the beginning of the exhibition, the sculpture Venice Stack made of coloured Murano glass refers to the painter’s sculptural activity. At the same time, it opens up an examination of the object-like, physical aspects of his paintings.

#25

Sean Scully was born in Dublin in 1945 and grew up in London. After studying in Newcastle, UK, a Harvard scholarship took him to the USA in 1975. It was there that the decisive step in his art took place, namely to give abstract painting an emotional dimension that creates an immediate connection with the viewer. Since the early 1980s, he has been one of the most important contemporary painters internationally. Today he lives in New York, Aix-en-Provence and Germany.
What characterises the radiance of Sean Scully’s work, both in his artistic position and in the direct encounter with his works, is first of all the expressiveness of his abstract painting. His paintings are based on assemblages of geometric forms, of vertically and horizontally aligned rectangles, stripes, bands. But the application of the paint shows a clearly gestural handwriting and thus lays a track to the subjectivity, to the feeling and thinking of the artist. With the colouring of his works, which is as rich as it is subtly differentiated, Scully creates pictorial sound worlds that open up personal resonance spaces when viewed.
The fact that Sean Scully has been creating large-format three-dimensional works for twenty years is also evident from the sculptural quality of his painting. The exhibition at KUNSTWERK investigates the question of whether it is not precisely this that contributes to the fascinating presence that his paintings develop in the architectural surroundings of the exhibition space.

#TOUR

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Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Installation View Level 1: Landline Red Bridge, 2014, Oil on linen, 26 x 22.2 in. and Venice Stack, 2020, Murano glass, 93.3 x 39.4 x 39.4 in., Photo: Holger Schimkat, ©Sean Scully

The sculpture Venice Stack from 2020 consists of eleven layers of coloured Murano glass. It rises on a square ground plan and encloses an empty interior space in which the light is concentrated. The glass is transparent on the one hand and opaque on the other, so that the chromatic luminosity of the sculpture is further differentiated and develops almost painterly qualities.

The context of painting and sculpture directs the viewer’s gaze to the enormous physical presence that also characterises Sean Scully’s paintings. They defy the traditional notion that a painting offers glimpses of a fictional or illusionistic scenery. Quite the contrary: with the almost haptically perceptible materiality of their surfaces, the works develop their effects into real space. An important role is played by the picture supports themselves, which stand out object-like against the wall surface and have increasingly been made of aluminium since the mid-1990s.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Installation View Level 1: Landline Deep Blue, 2014, Oil on aluminum, 85 x 75 in., Photo: Holger Schimkat, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Black Window 3, 2020, Oil on aluminum, 85 x 75 in., Photo: Christoph Knoch, ©Sean Scully

The exhibits on levels 0 and 1 in the KUNSTWERK belong to Sean Scully’s Landline series, with which he began in 2000. Underpinned by the title, their broad, horizontal bands of colour evoke landscape associations. The result is a feeling of boundless oscillation, which develops harmoniously in the interplay of colouring and painterly gesture, or else dynamises with tension. But in the painting Black Window 3 from 2020, a black field abruptly intrudes into the wide sound, a black, rectangular body reminiscent of Kazimir Malevich’s famous Black Square. Painted during the Corona pandemic, Sean Scully captures the existential experience we all share in the form of a window without a view.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Cream / Yellow / Grey, each 2018, Aquatint with sugar lift and spit bite on paper, 20 x 18 in., on paper 30 x 25 in., Photo: Brian Buckley, ©Sean Scully

Ebe

Level 2

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Both Scully’s use of the non-colour black and his principle of the „inset“ – an image within an image – become apparent with the other exhibits in the exhibition. In the four monumental panels of the work KANKANKAN for KANdinsky, the constellation of Black Window 3 is reversed. Here, coloured elements in different formats and positions are mounted in black pictorial bodies. From the dark background, their colourfulness develops an immense radiance that seems almost sacral in the bright hall of the KUNSTWERK. In a way, they refer back to the sculpture Venice Stack, which, as a coloured light vessel made of glass, is reminiscent of church interiors.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Installation View Level 2: KANKANKAN for KANdinsky, 2009, Oil on aluminum, 4-part, each 120.1 x 72 in., Photo: Holger Schimkat, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Barcelona 10.3.98, 1998, Pastel on paper, 30 x 22.5 in., Photo: Sean Scully Studio ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Cut Ground Silver 8.11, 2011, Oil on linen, 28 x 31.9 in., Photo: Christoph Knoch, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Barcelona 7.7.07, 2007, Oil stick on paper, 5-part, each 19.7 x 27.6 in., Photo: Christoph Knoch, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein

The large group of works Wall of Light includes those paintings whose formal structure consists of a cluster of horizontally and vertically aligned rectangles. Works entitled Cut Ground also contain fields with narrow stripes: The pictorial idea of a „wall of light“ appears here projected onto the particulate structure of a cultivated landscape. The painterly texture and the open joints between the „bricks“ and fields reveal Sean Scully’s working process. They show how gradually, in the many layers of wet-on-wet oil paint, a harmony of elements arises that carries a special mood and allows the painting to become an expressive equivalent of human existence.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Cut Ground Red Black Red, 2011, Oil on linen, 83.9 x 120.5 in., Photo: Christoph Knoch, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Doric Oisin, Abend, Killiney Triptych, 2017, Oil on linen, 3-part, each 28 x 32 in., ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein

Sean Scully’s works prove to be highly rich in relations: each individual pictorial element, each colour is part of a complex pictorial and tonal structure. In several of the multi-part works in the exhibition, the network of relationships extends beyond the boundaries of the individual panels.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Doric 8.12.18, 2018, Pastel on paper, 48 x 60 in., Photo: Christoph Knoch, ©Sean Scully

But the structures of multi-part pictorial concepts are also inscribed in works the other way round: The pastels entitled Doric are undergirded by the tripartite nature of the triptych; the pastel Mirror 7.26.19 contains references to the diptych and, on the basis of the mirror image, thematises precisely the deviation from exact symmetry.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Mirror 7.26.19, 2019, Pastel on paper, 59.8 x 48 in., Photo: Christoph Knoch, ©Sean Scully

Ebe

Level 3

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The large-format painting Titian’s Robe Pink concludes the tour of the exhibition on level 3. The allusion to Titian’s famous paintings of the Pope, but also to the garment as a medium of expression of identity, once again underlines the rootedness of Sean Scully’s painting in the world of human life, both in the spiritual-historical dimension of cultural history and in the subjective and individual.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Installation View Level 3: Titian’s Robe Pink 08, 2008, Oil on aluminum, 110 x 160 in., Photo: Holger Schimkat, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Installation View Level 3: Mirror 7.26.19, 2019, Pastel on paper, 59.8 x 48 in., Photo: Holger Schimkat, ©Sean Scully

Rundgang #25

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Das KUNSTWERK Sammlung Klein präsentiert von 19. Juni bis 18. Dezember 2022 eine Schau von internationalem Rang: eine Einzelausstellung des irisch-amerikanischen Künstlers Sean Scully (*1945). Gezeigt werden Gemälde, Pastelle, Radierungen und Zeichnungen aus rund drei Jahrzehnten, die wesentliche Leitmotive seiner abstrakten Malerei vorstellen und die besondere Qualität seiner Bilder als ebenso sinnlich wie emotional erfahrbare Ereignisse vermitteln. Am Beginn der Ausstellung verweist die Skulptur Venice Stack aus farbigem Muranoglas auf die bildhauerische Tätigkeit des Malers. Zugleich eröffnet sie die Auseinandersetzung mit objekthaften, körperlichen Aspekten seiner Bilder.

#25

Sean Scully ist 1945 in Dublin geboren und in London aufgewachsen. Nach seinem Studium im britischen Newcastle führte ihn 1975 ein Harvard-Stipendium in die USA. Dort vollzog sich der entscheidende Schritt in seiner Kunst, nämlich der abstrakten Malerei eine emotionale Dimension zu verleihen, die eine unmittelbare Verbindung zu den Betrachtern herstellt. Seit Anfang der 1980er Jahre zählt er zu den international bedeutendsten Malern der Gegenwart. Heute lebt er in New York, Aix-en-Provence und Deutschland.
Was die Strahlkraft von Sean Scullys Schaffen sowohl in seiner künstlerischen Position als auch in der unmittelbaren Begegnung mit seinen Werken prägt, ist zunächst die Ausdrucksstärke seiner abstrakten Malerei. Seine Bilder beruhen auf Gefügen geometrischer Formen, aus senkrecht und waagrecht ausgerichteten Rechtecken, Streifen, Bändern. Doch der Farbauftrag zeigt eine deutlich gestische Handschrift und legt damit eine Spur zur Subjektivität, zum Fühlen und Denken des Künstlers. Mit dem ebenso reich wie subtil differenzierten Kolorit seiner Werke erzeugt Scully bildnerische Klangwelten, die beim Betrachten persönliche Resonanzräume öffnen.
Dass Sean Scully seit zwanzig Jahren großformatige dreidimensionale Arbeiten erstellt, erschließt sich auch aus der skulpturalen Qualität seiner Malerei. Die Ausstellung im KUNSTWERK geht der Frage nach, ob nicht gerade sie zu jener faszinierenden Präsenz beiträgt, die seine Gemälde in der architektonischen Umgebung des Ausstellungsraumes entwickeln.

#RUNDGANG

Ebe

Ebene 0 | Ebene 1

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Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Ausstellungsansicht Ebene 1 mit Landline Red Bridge, 2014, Öl auf Leinen, 66 x 56,4 cm und Venice Stack, 2020, Muranoglas, 232 x 100 x 100 cm, Foto: Holger Schimkat, ©Sean Scully

Die Skulptur Venice Stack aus dem Jahr 2020 besteht aus elf Schichten farbigen Muranoglases. Sie erhebt sich auf einem quadratischen Grundriss und umfasst einen leeren Innenraum, in dem sich das Licht bündelt. Das Glas ist zum einen durchscheinend transparent, zum andern opak, so dass sich die chromatische Leuchtkraft der Skulptur noch weiter differenziert und geradezu malerische Qualitäten entwickelt.

Der Kontext von Malerei und Skulptur lenkt den Blick auf die enorme körperliche Präsenz, die auch die Gemälde Sean Scullys auszeichnet. Sie widersetzen sich der traditionellen Vorstellung, ein Bild biete Einblicke in eine fiktive oder illusionistische Szenerie. Ganz im Gegenteil: mit der geradezu haptisch spürbaren Materialität ihrer Oberflächen entwickeln sie ihre Wirkkräfte in den realen Raum hinein. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei den Bildträgern selbst zu, die sich objekthaft von der Wandfläche abheben und seit Mitte der 1990er Jahre auch zunehmend aus dem Werkstoff Aluminium bestehen.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Ausstellungsansicht Ebene 1 mit Landline Deep Blue, 2014, Öl auf Aluminium, 215,9 x 190,5 cm, Foto: Holger Schimkat, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Black Window 3, 2020, Öl auf Aluminium, 215,9 x 190,5 cm, Foto: Christoph Knoch, ©Sean Scully

Die Exponate auf Ebene 0 und 1 im KUNSTWERK gehören zu der im Jahr 2000 einsetzenden Landline-Serie Sean Scullys. Unterstützt durch den Titel, lassen ihre breiten, horizontalen Farbbahnen landschaftliche Assoziationen anklingen. Es entsteht das Gefühl eines grenzenlosen Schwingens, welches sich im Zusammenspiel von Kolorit und malerischer Geste harmonisch entwickelt oder aber spannungsvoll dynamisiert. Doch in den weiten Klang dringt im Gemälde Black Window 3 aus dem Jahr 2020 jäh ein schwarzes Feld ein, ein schwarzer, rechteckiger Körper, der an das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch erinnert. Sean Scully hat das Bild während der Corona-Pandemie gemalt und fasst die existenzielle Erfahrung, die wir alle teilen, in die Form eines Fensters ohne Ausblick.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Cream / Yellow / Grey, je 2018, Aquatinta-Radierung auf Papier, 50,8 x 45,7 cm auf Papier 76,2 x 63,5 cm, Foto: Brian Buckley, ©Sean Scully

Ebe

Ebene 2

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Sowohl Scullys Verwendung der Nicht-Farbe Schwarz als auch sein Prinzip des „Insets“ – eines Bildes im Bild – werden mit den weiteren Exponaten der Ausstellung sichtbar. In den vier monumentalen Tafeln des Werks KANKANKAN for KANdinsky kehrt sich die Konstellation von Black Window 3 um. In schwarze Bildkörper sind hier farbige Elemente in unterschiedlichen Formaten und Positionen einmontiert. Deren Farbigkeit entwickelt aus dem dunklen Fond heraus eine immense Strahlkraft, die in der hellen Halle des KUNSTWERK geradezu sakral wirkt. Damit weisen sie gewissermaßen auf die Skulptur Venice Stack zurück, die als farbiges Lichtgefäß aus Glas an Kirchenräume denken lässt.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Ausstellungsansicht Ebene 2 mit KANKANKAN for KANdinsky, 2009, Öl auf Aluminium, 4-teilig, je 305 x 183 cm, Foto: Holger Schimkat, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Barcelona 10.3.98, 1998, Pastell auf Papier, 76,2 x 57,2 cm, Foto: Sean Scully Studio ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Cut Ground Silver 8.11, 2011, Öl auf Leinwand, 71,1 x 81 cm, Foto: Christoph Knoch, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Barcelona 7.7.07, 2007, Ölstift auf Papier, 5-teilig, je 70 x 50 cm, Foto: Christoph Knoch, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein

Zur großen Werkgruppe Wall of Light gehören jene Gemälde, deren formale Struktur aus einem Verbund horizontal und vertikal ausgerichteter Rechtecke besteht. Arbeiten mit dem Titel Cut Ground enthalten auch Felder mit schmalen Streifen: Die Bildidee einer „Mauer aus Licht“ erscheint hier auf die partikulare Gliederung einer bearbeiteten Kulturlandschaft projiziert. Die malerische Textur sowie die offenen Fugen zwischen den „Bricks“ und Feldern lassen den Arbeitsprozess Sean Scullys erkennen. Sie zeigen, wie offenbar nach und nach, in den vielen Schichten nass-in-nass aufgetragener Ölfarbe ein Zusammenklang der Elemente entsteht, welcher eine besondere Stimmung in sich trägt und das Bild zum Ausdrucksäquivalent menschlichen Seins werden lässt.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Cut Ground Red Black Red, 2011, Öl auf Leinwand, 213,2 x 306 cm, Foto: Christoph Knoch, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Doric Oisin, Abend, Killiney Triptych, 2017, Öl auf Leinwand, 3-teilig, je 71,1 x 81,3 cm, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein

Sean Scullys Werke erweisen sich als höchst beziehungsreich: jedes einzelne Bildelement, jede Farbe ist Teil eines komplexen bildnerischen und tonalen Gefüges. Dabei wirkt das Beziehungsgeflecht in etlichen mehrteiligen Werken der Ausstellung über die Grenzen der einzelnen Tafeln hinaus.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Doric 8.12.18, 2018, Pastell auf Papier, 121,9 x 152,4 cm, Foto: Christoph Knoch, ©Sean Scully

Aber auch umgekehrt schreiben sich Strukturen mehrteiliger Bildkonzeptionen in Werke ein: Den Pastellen mit dem Titel Doric ist die Dreiteiligkeit des Triptychons unterlegt; das Pastell Mirror 7.26.19 enthält Bezüge zum Diptychon und thematisiert auf Basis der Spiegelbildlichkeit gerade das Abweichen von einer exakten Symmetrie.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Mirror 7.26.19, 2019, Pastellkreide auf Papier, 152 x 122 cm, Foto: Christoph Knoch, ©Sean Scully

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Ebene 3

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Das großformatige Gemälde Titian’s Robe Pink 08 beendet den Rundgang durch die Ausstellung auf Ebene 3. Die Anspielung auf Tizians berühmte Papstbilder und das Gewand als Vermittler „kleidgewordener Identität“ (Marcel Proust), unterstreicht nochmals die Verwurzelung der Malerei Sean Scullys in der Lebenswelt des Menschen, sowohl in der geistig-historischen Dimension der Kulturgeschichte als auch im Subjektiven und Individuellen.

Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Titian’s Robe Pink 08, 2008, Öl auf Aluminium, 279,5 x 406,5 cm, Foto: Holger Schimkat, ©Sean Scully
Hängung #25 - Bodies of Color - Sean Scully - Sammlung Klein
Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Mirror 7.26.19, 2019, Pastellkreide auf Papier, 152 x 122 cm, Foto: Holger Schimkat, ©Sean Scully

Rundgang Hängung #24

VK Header 2000 X 709 Px
#24 Header AM1n
#24 Header KM1n
#24 Header AM2n
#24 Header KM2n
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#RUNDGANG

Ebe

Ebene 0 | Untergeschoss

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Andreas Mühe, Februar 2007, es geht nicht mehr weiter, 2008, C-Print, 140 x 110 cm, ©Andreas Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Die frühesten Arbeiten in der Ausstellung Vertauschte Köpfe der Brüder Andreas und Konrad Mühe reflektieren die Auseinandersetzung mit dem Tod des Vaters Ulrich Mühe im Jahr 2007. Bereits ein Jahr später beginnt Konrad Mühe Filme mit Ulrich Mühe in der Hauptrolle zu sichten und Sequenzen auszuwählen, die mit neuem Plot ein so nie geführtes Gespräch über die Beziehung von Vater und Sohn ergeben. Obwohl der Titel Fragen an meinen Vater ein Zwiegespräch suggeriert, sind nur dessen Antworten zu hören. Doch ist es der Vater, der sie gibt, oder der Schauspieler in seinen Rollen?
Andreas Mühe rekonstruiert in seiner Fotografie Februar 2007, es geht nicht mehr weiter genau jene Situation, in der er erfahren hat, dass es für seinen Vater keine Aussicht auf Heilung gibt und dessen Leben bald zu Ende geht.

Konrad Mühe, Videostills, Fragen an meinen Vater, 2011, Video: 12 Min. (Farbe, Ton), ©Konrad Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ebe

Ebene 1

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Ausstellungsansicht Ebene 1 mit Oskar I (aus der Serie Mischpoche, 2016-2019) und der Serie Mühe-Kopf (2018) von Andreas Mühe sowie Ava (2021) und Tome (seit 2019) von Konrad Mühe, ©Andreas Mühe und Konrad Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Thomas Krüger

Den Auftakt der Ausstellung auf Ebene 1 bildet ein Prolog aus Porträts von Andreas und Konrad Mühe, der den von einer Erzählung Thomas Manns entlehnten Titel der Hängung #24 im KUNSTWERK Vertauschte Köpfe aufgreift. Die Reflexion über die eigene Identität und das Medium der Fotografie in seiner zeitlichen Bedingtheit spiegelt sich in dem 24-teiligen Werkblock Mühe-Kopf von Andreas Mühe wider. Zugleich setzt er mit der Fotografie Oskar I einen historisch-biografischen und für das Ausstellungskonzept entscheidenden Bezug zu seinem Großvater Oskar Hahn, der 1937 mit seinen Eltern von Kornwestheim in die Uckermark übersiedelt war.
Eine andere Form von Porträt sind die in Wachs abgeformten Videoprojektoren der Serie Tome von Konrad Mühe. Sie erinnern an Totenmasken oder eine Ahnengalerie und verweisen hier auf die in jeder Erzählung enthaltene subjektive Projektion. Seine Videoskulptur Ava wirkt wie ein kniendes Kind, das fasziniert in das Lichtspiel eines Kronleuchters blickt. In unterschiedlichen Phasen ein- und ausgeschaltet, überstrahlt dessen Aufleuchten die von Ava projizierten farbigen Bilder. Es entsteht ein Wechselspiel zwischen dem Projektionswesen und dem alten, wie von der Decke herabgestürzten Leuchter: Ein Dialog zwischen dem inneren Eigenen und dem äußeren Anderen entwickelt sich, der Grundlage jeglicher Ausbildung von Identität ist.

Ebe

Ebene 2

ne 1 | NINA RÖDER

Andreas Mühe, Mühe II (groß), 2016-2019, aus der Serie Mischpoche, C-Print, 175 x 220 cm, ©Andreas Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Andreas Mühe, Hahn II, 2016-2019, aus der Serie Mischpoche, C-Print, 175 x 220 cm, ©Andreas Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Angeregt von der Tradition bürgerlicher Familienporträts, die in der Gruppierung der Beteiligten fein codierte Beziehungsgefüge repräsentieren, widmet sich Andreas Mühe 2016 bis 2019 seinem großen Projekt Mischpoche. Die beiden großformatigen Tableaus der Familien väterlicherseits sowie mütterlicherseits stehen im vorderen Teil der Ebene 2 im Zentrum. Jeweils vier Generationen umfassend, fügt der Künstler in aufwändigen Prozessen produzierte, lebensecht wirkende Figuren der bereits Verstorbenen ein. Dem aktuellen Alter des Künstlers entsprechend sind dieselben ebenfalls jeweils mit knapp 40 Jahren dargestellt. Obwohl die Verstorbenen im Kreis der Familie verlebendigt erscheinen, unterstreicht das detailreich inszenierte Setting von Personen und Bühnenausstattung das Wesen der Bilder als künstlerische Konstruktion.

Das Tableau Hahn II, das die Mutter und Theaterregisseurin Annegret Hahn im Mittelpunkt zeigt, reflektiert in hohem Maße die Herkunft und Familiengeschichte in ihrer für beide Söhne identitätsprägenden Funktion. In der Verbindung von Person und Ort, die auch hinter den Grundriss-Objekten von Konrad Mühe steht, richtet sich der Blick auf den Lebensmittelpunkt des Großvaters im Nordosten Brandenburgs. Dem Familienbild gegenübergestellt, thematisiert Andreas Mühe in einer Serie von Photogrammen das Schicksal von Oskar Hahns Eltern Gottlob und Anna, die 1945 von den vorrückenden Truppen der Roten Armee ermordet, am Torbogen ihres Hofes erhängt worden waren.

Ausstellungsansicht Ebene 2, im Vordergrund rechts: Konrad Mühe, Wohnung M, Wohnung B, Wohnung G, 2017, Schwammschaumstoff, Steine, ©Konrad Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Thomas Krüger
Konrad Mühe, Johannes, 2019, pulverbeschichtetes Metall, Videoprojektor, DVD-Player, Video: 3 Min. (Farbe, ohne Ton, Loop), ca. 170 x 90 x 70 cm

Die Videoskulpturen von Konrad Mühe untersuchen existentielle Fragestellungen zur Wahrnehmung und Wirkung von Bildern und der Konstruktion von Identität. Johannes liefert ein narzisstisches Menschenbild, das zwischen Selbstreflexion und der Wahrnehmung eines konstruierten Ichs changiert. Obwohl die Videoskulpturen technoide Objekte darstellen und aus Möbeln wie Tischen, Schränken oder Regalen sowie Projektoren bestehen, vermitteln sie sofort den Eindruck lebendiger Wesen, was die Betitelung der Arbeiten durch den Künstler zusätzlich betont. Unsere animistische Neigung, unbelebten Dingen menschliche Eigenschaften oder Merkmale zuzuschreiben, reagiert dabei auf Gestaltmuster, die in unserem Gedächtnis gespeichert sind. Diese Wahrnehmungsroutinen erzeugen angesichts der Videoskulpturen Konrad Mühes eine persönliche Basis der Auseinandersetzung, die jeweils im Zusammenwirken von Form, Oberflächenstruktur und Filmprojektion inhaltlich vertieft wird.

Konrad Mühe, Leonhardt, 2019, pulverbeschichtetes Metall, Videoprojektor, DVD-Player, Video: 4 Min. (Farbe, ohne Ton, Loop), ca. 80 x 80 x 160 cm, ©Konrad Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Andreas Mühe, Vater XXI, Vater XXII und Vater XXVII, 2016-2019, aus der Serie Mischpoche, C-Print, 140 x 110 cm, ©Andreas Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Während sich die flankierenden Arbeiten zum Familienporträt mütterlicherseits auf die Geschichte der Familie Hahn konzentrieren, stehen im Bereich der hohen Halle dem Tableau Mühe II (groß) Arbeiten von Andreas Mühe gegenüber, die sich mit dem Bild des Vaters Ulrich Mühe auseinandersetzen. Der wie ein antiker Kuros wirkende Torso erscheint – an erhöhter Stelle im Raum angebracht – unerreichbar und gewissermaßen idealisiert, während das eindrückliche Porträt des Vaters hinter einer Ausstellungswand versteckt präsentiert wird. Das so geschaffene Vater-Bild und die Dekonstruktion desselben geraten in ein beziehungsreiches Spannungsfeld.

Ausstellungsansicht Ebene 2, Foto: Thomas Krüger

Familienbiografische Aspekte treten neben den Grundrissobjekten in zwei weiteren Werken von Konrad Mühe stärker hervor. In seiner zweiteiligen Installation Philipp blickt eine scheinbar am Boden liegende, halb aufgerichtete Kreatur auf die letzten Dinge des Lebens. In Anlehnung an seinen Vorfahren, den Mechaniker-Pfarrer Philipp Matthäus Hahn (1739-1790), sind diese in einem kosmischen Modell zirkulierend dargestellt. Ein anderes Bild von Vanitas entwickelt Konrad Mühes in Zusammenarbeit mit seiner Frau, der Künstlerin Sonja Schrader. In der Geste des sich gegenseitigen Stützens und Tragens zeigt die skulpturale Arbeit Klakeur hochformatige Videosequenzen von Blumensträußen, die unversehens in sich zusammen fallen und die Überlagerung von Ereignissen ohne Innehalten thematisieren.

Konrad Mühe und Sonja Schrader, Klakeur, 2020, Edelstahl, Stuckmarmor, Videoprojektor, Media-Player, Video: 4 Min. (Farbe, ohne Ton, Loop), ca. 160 x 140 x 140 cm, ©Konrad Mühe und Sonja Schrader, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ebe

Ebene 3

ne 1 | NINA RÖDER

Konrad Mühe, Weissglas, 2011, Glas, Holz, Videoprojektor, Video: HDV, 2 Min. (Farbe, ohne Ton, Loop), ca. 60 x 112 x 50 cm, ©Konrad Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

In der Videoinstallation Weissglas ist Konrad Mühe selbst zu sehen, wie er sich zwischen den verschiedenen Ebenen von Wand und Boden bewegt. Allerdings scheinen die üblichen physikalischen Gesetze außer Kraft gesetzt zu sein. Die vertraute Auffassung von Raum wird konterkariert in einem zugleich irritierenden wie faszinierenden Vexierspiel.

Die Arbeiten aus der Serie Obersalzberg, in der sich Andreas Mühe kritisch mit der Bildästhetik der NS-Diktatur auseinandersetzt, bilden den Abschluss der aus Landschaften und Porträts bestehenden Werkserie. Den Ausgangspunkt bilden Aufnahmen des Fotografen und Kameramanns Walter Frentz vom Rückzugsort Hitlers im Berchtesgadener Land. Andreas Mühe hat einzelne Figuren aus Hitlers Entourage herausgegriffen und deren Körperhaltung von Schauspielern nachstellen lassen, um zu untersuchen, wie viel sich von der „Geste des Gehorsams“ darin noch vermittelt.

In liegenden Leuchtkästen und einer großformatigen Fotografie beschäftigt sich Andreas Mühe mit den Liquidatoren von Tschernobyl. „Biorobots“ nannte man die Helfer, die nach der Reaktorkatastrophe in der verstrahlten Anlage ihr Leben riskierten. Mit der skulptural inszenierten Darstellung der in aufwändiger und doch nutzloser Schutzkleidung steckender Personen hinterfragt Andreas Mühe einmal mehr den Mythos des Heldentums.

Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Werken von Andreas Mühe aus den Serien Tschernobyl (2020) und Mischpoche (2016-2019), ©Andreas Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Thomas Krüger
Ausstellungsansicht Ebene 3 mit Werken von Andreas Mühe aus den Serien Tschernobyl (2020) und Obersalzberg (2010-2012), ©Andreas Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Konrad Mühe, Weissglas, 2011, Glas, Holz, Videoprojektor, Video: HDV, 2 Min. (Farbe, ohne Ton, Loop), ca. 60 x 112 x 50 cm, ©Konrad Mühe, VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Thomas Krüger

Rundgang Hängung #23

#23 Header Neu
#23 Header5 Tp
#23 Header2 Tp
#23 Header4 Tp
#23 Header Damisch
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#RUNDGANG

Ebene 1 | NINA RÖDER

Michelin Kober

1968 geboren in Herrenberg, lebt in Stuttgart

Linie für Linie zieht Michelin Kober schmale Tuschebahnen, freihändig, und doch nicht mit freier Hand, denn die spontane Geste bleibt ihr fremd. Langsam legt sich von links nach rechts oder von oben nach unten eine gerade Spur verdünnter Tusche auf das Blatt. Die nächste folgt ihr, verbindet sich mit ihr, indem sie – nass in nass, über einen nur zarten Trockenrand hinweg – die feinen Partikel des Pigments in sich aufnimmt.  Im kontemplativen Ritual des wiederholten Tuns verdichten sich die Linien nach und nach sowie Schicht für Schicht zu einer malerischen Fläche. Farbverläufe reichen von hellen, luziden Tönen bis zu einem gesättigten Schwarz von unfassbarer Tiefe. Dazwischen bleibt ein schmaler Streifen des unbehandelten Papiergrunds stehen, der im Bildraum aus sich selbst heraus leuchtet. So scheint es, als wollten die Linien all die Ruhe und Konzentration, all die Energie und die Zeit, die in ihnen liegt, hineingeben in das geheimnisvolle Strahlen eines Lichts inmitten von ihnen.

Michelin Kober, HORIZON - green middle, 2018, Tusche auf Büttenpapier, ca. 120 x 144 cm, gerahmt, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Michelin Kober, horizon (quer I), 2013, Tusche auf Papier, 31,5 x 41,5 cm, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Michelin Kober, horizon (crossing 2), 2014, Tusche auf Papier, 31,5 x 41,5 cm, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Thomas Müller

1959 geboren in Frankfurt a.M., lebt in Stuttgart

Welche der Linien war die erste auf dem Blatt? Man weiß es nicht. Man geht, irgendwo beginnend, mit dem Blick dem Verlauf einer Linie nach, erkennt in ihrem Schwingen eine gewisse Melodie, sieht wann und wie stark sie die Richtung verändert. Man beobachtet, wie eine Linie auf die andere zuläuft, deutlich Abstand hält oder sich ihnen mal in stumpfen oder spitzen Winkeln annähert. Mitunter überschneiden sie sich dann oder begleiten einander auch für eine Weile, wenn sie nebeneinander und doch nicht parallel ihre Spuren ziehen. Einige treten unter korrigierendem Weiß zurück. Bei anderen dringt das Öl der Farbe ins Papier ein. Nach und nach verändert sich der Blick, der sich – angereichert vom Erkunden einer bildnerischen Sprache – auf das Ganze richtet und es als komplexes Gefüge aufeinander reagierender Setzungen erkennt. Und man weiß, dass man sich auch neu darauf einlassen muss, wenn man der nächsten Zeichnung von Thomas Müller begegnet.

Thomas Müller, Ohne Titel, 2019, Bleistift, Ölfarbe, Tusche auf Fabriano Bütten, 196 x 140 cm, ©Thomas Müller
Thomas Müller, Ohne Titel, 2018, Bleistift, Ölfarbe, Tusche auf Fabriano Bütten, 196 x 140 cm, ©Thomas Müller

Michelangelo Pistoletto

1933 geboren in Biella, lebt in Turin

Drei Bildtafeln des italienischen Künstlers Michelangelo Pistoletto, einem der Hauptvertreter der Arte Povera: Sie bestehen aus schwarzem Siebdruck auf Spiegel, auf den äußeren Tafeln die Profilaufnahmen seiner Zwillingstöchter, einander zugekehrt, dazwischen, auf Augenhöhe in der sonst leeren Fläche, ein kleiner Punkt. Offen bleibt, ob sich die beiden Konterfeis der Frauen gegenseitig anschauen, oder ob sich ihre Blicke auf die fokussierte Mitte konzentrieren. Sobald man ans Werk herantritt, erscheint das eigene Spiegelbild. Man sieht sich beim Betrachten selbst und reflektiert damit das Betrachten als solches. Zugleich ergänzt, vervollständigt man das Werk im Sinne Pistolettos, indem man es mit dem eigenen (Lebens-)Raum und seiner Wirklichkeit verknüpft.

Michelangelo Pistoletto, Gemelle (Spiegel-Triptychon), 1998, Acrylspiegel, Siebdruck, je 50 x 40 cm, ©Michelangelo Pistoletto

Arnulf Rainer

1929 geboren in Baden bei Wien, lebt in Enzenkirchen (Oberösterreich) und auf Teneriffa

Zwei Kaltnadelradierungen von Arnulf Rainer aus dem Jahr 1978: Im Untergrund abgebildet sind Fotografien des Künstlers in Posen, die nicht eindeutig sind oder unverständlich erscheinen. Darüber liegen zahlreiche Striche, mit der Radiernadel kraftvoll und in schnellen Zügen in die Platte eingegraben. Im einen Blatt folgen sie der Körperhaltung, im andern bilden sie einen dichten Strahlenkranz um den Kopf. Daneben ist ein Gemälde des Künstlers aus dem Jahr 1999 zu sehen mit einem flüchtig skizzierten Gesicht in der Mitte, umgeben von farbigen Schleiern. Wie könnte sich besser zeigen als in diesem Nebeneinander, dass Arnulf Rainers Geste der Übermalung grundsätzlich nicht nur ein Verbergen und Löschen ist, sondern auch ein Akt der des Hervorholens und der Auseinandersetzung.

Ausstellungsansicht Arnulf Rainer

Andy Denzler

1965 geboren in Zürich, lebt in Zürich

Bei den Arbeiten von Andy Denzler handelt es sich um Porträts oder Darstellungen von Menschen in einer unbestimmten Umgebung oder von Landschaft umfangen. Man sieht sie in ihrem Tun, in ihren Bewegungen verharren, festgehalten in Momentaufnahmen. In seiner malerischen Umsetzung der Motive folgt Andy Denzler zunächst einer realistisch geprägten Konzeption, vollzieht aber dann in der obersten Malschicht den für seine Arbeiten charakteristischen und entscheidenden Schritt horizontale Bahnen in die noch feuchte Ölfarbe zu ziehen. So, als wische er damit alles Zufällige des Momentanen aus, erhebt sich das Dargestellte auf eine andere, abstrakte Ebene von Zeit und Wirklichkeit.

Andy Denzler, East London #3, 2008, Öl auf Leinwand, 180 x 150 cm, ©Andy Denzler
Andy Denzler, Land in Sicht, 2010, Öl auf Leinwand, 140 x 120 cm, ©Andy Denzler
Ausstellungsansicht Andy Denzler und Stefan Mauck

Erdmut Bramke

1940 geboren in Kiel, 2002 verstorben in Stuttgart

Der Strich verrät die Bewegung der Hand beim Auftrag der Farbe auf die Leinwand: ein kurzes Streichen mit dem breiten Pinsel, keine Hiebe. Die Farbe verdünnt, unabhängig vom dunklen oder hellen Kolorit, immer zart. Ein vielfach wiederholtes Ansetzen, das Strich für Strich, Schicht für Schicht die eigene bildnerische Setzung in dialogische Verhältnisse bringt, sich in der Bildmitte verdichtet oder einer (dunklen) Lichtung im Innern Raum gibt. Die Arbeiten von Erdmut Bramke, die Mitte der 1980er Jahre entstanden sind, unterscheiden sich von ihren früheren Werken, die vom Duktus eines linearen Fortschreibens geprägt sind – damals oft in der Leserichtung von links oben nach rechts unten – und an ihren viel zitierten Satz denken lassen: sie schreibe ihre Bilder. Das geknüpfte Gefüge löst sich jetzt auf in ein bildfüllendes Flimmern, das einer Idee Raum gibt, einer Idee vom Sommer oder vom Wald bei Fontainebleau.

Erdmut Bramke, Wald bei Fontainebleau, 1986, Acryl auf Leinwand, 220 x 180 cm / Sommerbild 16, 1986, Acryl auf Leinwand, 180 x 220 cm / beide Abbildungen ©Nachlass Erdmut Bramke, Freunde der Staatsgalerie Stuttgart – Stuttgarter Galerieverein e. V., VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Spandita Malik

1995 geboren in Indien, lebt in New York

Die Frauen dürfen das Haus nicht verlassen. Sie bleiben von ihren Männern oder Vätern in der Wohnung eingesperrt. Oder die Angst zwingt sie zum isolierten Leben in ihren Zimmern; die Angst vor gewalttätigen Übergriffen draußen, eben weil sie Frauen sind in Indien. Ein geringes Einkommen verdienen sie sich mit traditionellen Stickereien, für die ihre Dörfer in Uttar Pradesh, Rajasthan und Punjab bekannt sind.
Die aus Indien stammende, in New York lebende Künstlerin Spandita Malik hat die Frauen besucht. Aus dem Vorhaben, eine dokumentarische Fotoserie zu erstellen, entwickelte sich ein Kooperationsprojekt. Spandita Malik ließ die aufgenommenen Porträts auf einen für die Region charakteristischen Stoff drucken und gab sie den Frauen zurück mit der Bitte, sie nach eigenen Vorstellungen zu besticken. Die Werkserie trägt den Titel Nā́rī, was in Sanskrit „Frau“ bedeutet, ebenso ein weibliches Objekt bezeichnet oder auch „Opfer“ heißt.

Spandita Malik, Nuzrat Praween, 2019, Thermotransferdruck auf Schleier-Stoff, Weißstickerei, 92 x 109 cm, ©Spandita Malik
Spandita Malik, Kosar, 2019, Thermotransferdruck auf Khadi-Stoff, Gota Patti-Applikationen und Goldstickerei, 66 x 89 cm, ©Spandita Malik
David Schnell, Pista d‘oro, 2013, Öl auf Leinwand, 150 x 250 cm, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

David Schnell

1971 geboren in Bergisch Gladbach, lebt in Leipzig

Die Landschaft scheint von der Erdenschwere der realen Welt befreit zu sein. Ihr Licht überwältigt hier mit strahlendem Gelb und Azurblau, ist milde dort in sanften Pastelltönen. Der in Leipzig lebende Künstler David Schnell löst alles Festgefügte eines landschaftlich Gegebenen auf. Architektonische und pflanzliche Fragmente, geometrische Flächen und abstrakte Strukturen erzeugen in seiner Malerei – getragen von einem perspektivischen Gerüst – äußerst dynamische bildnerische Kräfte.

David Schnell Flur, 2014, Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Günther Uecker

1930 geboren in Wendorf, lebt in Düsseldorf und St. Gallen

Ist es ein Auswärts- oder Einwärts-Drehen, an das man bei der „Spirale“ von Günther Uecker denkt? Komprimiert sich die Kraft der imaginären Bewegung in der Mitte oder erhält sie gerade an dieser Stelle ihren anfänglichen Impuls, um sich ins Periphere auszubreiten? Bereits in der hellen Grundierung des Nagelreliefs ist die Form der Spirale zu erkennen. Mit den Zimmermannsnägeln, die der Künstler in die Platte einschlägt, gewinnt das Wirbeln eine physisch spürbare Präsenz. Die Köpfe der Nägel über den metallenen Schäften sind weiß gefasst, so dass sich das dynamische Geschehen zugleich beruhigt. Die ambivalente Lesart der bildnerischen Struktur findet einen Widerhall im Zusammenklingen von Ruhe und Bewegung.

Günther Uecker, Spirale, 2005, Nägel und Farbe auf Leinwand, Holz, 90 x 90 x 12 cm, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Anna Krammig

1981 geboren in Heidelberg, lebt in Zürich

Dem Wesen nach flüchtig und körperlos sind die Schatten, die sich auf den Hauswänden abzeichnen. Vergänglich sind die Spuren des Gegenständlichen auf der hellen Fläche. Denn ihr Abbild wird sich verändern, gleich, wenn die Sonne weiter wandert. Mit dem ephemeren Spiel von Licht und Schatten hält die Künstlerin Anna Krammig in ihren Gemälden das Besondere von an sich unspektakulären Momenten und Orten fest. Zugleich verleiht ihre feine, in Lasuren aufgetragene Malerei dem Dargestellten ein Schimmern, welches die Gedanken beim Betrachten entführt und mit zeitlosen inneren Bildern verknüpft.

Ausstellungsansicht Anna Krammig, u.a. Gemälde aus der Serie „Palme“, 2015, Öl auf Leinwand, ©Anna Krammig

Gunter Damisch

1958 geboren in Steyr, 2016 verstorben in Wien

Alles scheint in den farbintensiven Gemälden von Gunter Damisch zu schweben. Nichts ist festgehalten im Faktischen. Die Dimensionen physikalischer Größen verschieben sich vom Kleinen ins Große und umgekehrt. Kleinste mikrobiologische Formen sehen aus wie große Himmelskörper, dazwischen zeichenhafte Elemente, die Räume überspannen, sich ausdehnen, und die der Künstler selbst „Felder“, „Wege“, „Netze“ oder „Flimmern“ nannte. Jedes Bild wirkt wie ein Ausschnitt aus einer weiten kosmischen Welt, in der wohl vor allem eins von Bedeutung ist: dass dem Wachsen der Dinge und der Gedanken ein offener Raum gegeben werde.

Gunter Damisch, Rotfeldwelten untenoben, 1998, Öl auf Leinwand, 110 x 110 cm, ©Gunter Damisch
Gunter Damisch, Untenflimmern, 1998, Öl auf Leinwand, 110 x 110 cm, ©Gunter Damisch
Gunter Damisch, Gelbflämmlerwege, 1998, Öl auf Leinwand, 110 x 110 cm, ©Gunter Damisch

Hängung #22 DE

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#RUNDGANG

Ebene 1 | NINA RÖDER

Nach dem Tod von Nina Röders Großeltern innerhalb eines Jahres galt es 2017, deren Haus zu räumen. Den Entscheidungsprozess, von welchen Gegenständen man sich trennt, welche als Erinnerungsstücke aufbewahrt werden, begleitet die Künstlerin mit ihrer Serie Wenn du gehen musst willst du doch auch bleiben. In ebenso bewegender wie humorvoller Weise fotografiert Nina Röder letztmals die Einrichtung des Hauses sowie persönliche Gegenstände: performativ in Szene gesetzt zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Cousine, die Kleider der Großmutter tragen.

Flowers she got, aus der Serie Wenn du gehen musst willst du doch auch bleiben, 2017, Fine Art Print, 50 x 50 cm, ©Nina Röder und Galerie Burster Berlin – Karlsruhe
Glasses, aus der Serie Wenn du gehen musst willst du doch auch bleiben, 2017, Fine Art Print, 50 x 50 cm, ©Nina Röder und Galerie Burster Berlin – Karlsruhe

Ebene 1 | MARIE ZBIKOWSKA

Ohne Titel, aus der Serie Im Bau, 2017, 9-teilig, Gelatine Print, 80 x 64 cm, ©Marie Zbikowska
Ohne Titel, aus der Serie Im Bau, 2017, 9-teilig, Gelatine Print, 80 x 64 cm, ©Marie Zbikowska

Woran erinnern wir uns, fragt Marie Zbikowska, wenn wir die Wahrnehmung von Räumen, von baulichen Gegebenheiten aus dem Gedächtnis abrufen? Der fragmentarische Charakter des Erinnerns spiegelt sich in ihrem Werkprozess, indem sie eine Essenz eines ursprünglich Geschauten zunächst nachbildend rekonstruiert und im nächsten Schritt das neu Gebaute zum fotografischen Gegenstand werden lässt. Das Versinken von Gedächtnisinhalten, das mit dem Speichern derselben verbunden ist, führt zur Auseinandersetzung mit dem Aspekt des Archivierens und dem thematischen Aufgreifen sogenannter Zeitkapseln, wie sie auch bei Grundsteinlegungen verwendet werden.

Kapsel, 2019/2020, Inkjet Prints, je 93 x 75 cm, Objekte (Kapseln), Wachs, Gips, je ca. 30 x 8 cm, ©Marie Zbikowska

Ebene 2 | LOUISA CLEMENT

heads, 2014/15, Inkjet Prints, je ca. 37 x 22 – 28,3 cm, Installationsansicht Remote Control, Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Detail, ©Louisa Clement, Cassina Projects

Gesichtslose Porträts. Atavare. Leere Körper. Die Protagonisten in den Fotografien von Louisa Clement sind künstliche Wesen, jeglicher Identität enthoben. Schaufensterpuppen dienen in den Arbeiten der Künstlerin als Stellvertreter für Menschen. Die Fotografien – auf den ersten Blick scheinbar visionär, fiktional – zeichnen ein irritierendes Bild unseres gegenwärtigen Lebens. Im anonymen Gegenüber oder im beziehungslosen Miteinander der Figuren lassen sie fragen, ob unsere Vorstellung des Humanitären dem Jetzt oder der Vergangenheit angehört.

Avatar 1, 2016, Inkjet Print, 115 x 86 cm, ©Louisa Clement, Cassina Projects
Avatar 4, 2016, Inkjet Print, 115 x 86 cm, ©Louisa Clement, Cassina Projects

Ebene 2 | SABRINA JUNG

Mona, 2018, aus der Serie WoMen, 12-Farb Pigmentdrucke, koloriert mit Eiweißlasur, 60 x 40 cm, ©Sabrina Jung, VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Jen, 2018, aus der Serie WoMen, 12-Farb Pigmentdrucke, koloriert mit Eiweißlasur, 60 x 40 cm, ©Sabrina Jung, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Gesichtslose Porträts. Atavare. Leere Körper. Die Protagonisten in den Fotografien von Louisa Clement sind künstliche Wesen, jeglicher Identität enthoben. Schaufensterpuppen dienen in den Arbeiten der Künstlerin als Stellvertreter für Menschen. Die Fotografien – auf den ersten Blick scheinbar visionär, fiktional – zeichnen ein irritierendes Bild unseres gegenwärtigen Lebens. Im anonymen Gegenüber oder im beziehungslosen Miteinander der Figuren lassen sie fragen, ob unsere Vorstellung des Humanitären dem Jetzt oder der Vergangenheit angehört.

Untitled no 15 / Untitled no 9 / Untitled no 12 / Untitled no 8 / Untitled no 4 / Untitled no 7, aus der Serie Schöne Frauen, 2011, 12-Farb Pigmentdrucke, Collagen, je 60 x 40 cm, ©Sabrina Jung, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Ebene 2 | ISABELLE GRAEFF

Brighton, aus der Serie Exit, 2016-18, C-Print, Handabzug, 149 x 103 cm, ©Isabelle Graeff

Isabelle Graeff kehrt 2015 nach dem Tod ihres Vaters nach Großbritannien zurück, wo sie studiert hat. Von London aus nähert sie sich erneut dem Land an. Dabei entsteht die Fotoserie Exit: emotional geprägte, poetische Aufnahmen, welche die Verfasstheit einer Nation kurz vor der Entscheidung des Brexits wiedergeben. Als Langzeitprojekt schreibt sich ihre Serie My Mother and I seit fast zwanzig Jahren fort und zeichnet ein Bild von der Beziehung zwischen Mutter und Tochter.

Blackpool, aus der Serie Exit, 2016-18, C-Print, Handabzug, 103 x 149 cm, ©Isabelle Graeff
Spaldwick/ Lizard Point, aus der Serie Exit, 2016-18, C-Prints, Handabzug, je 95 x 65 cm, ©Isabelle Graeff

Ebene 2 | ANDREA GRÜTZNER

Ohne Titel 1, 2014, aus der Serie Erbgericht, Pigment Print, 149,3 x 100 cm, ©Andrea Grützner, Courtesy Robert Morat Galerie, Berlin
Ohne Titel 10, 2014, aus der Serie Erbgericht, Pigment Print, 149,3 x 100 cm, ©Andrea Grützner, Courtesy Robert Morat Galerie, Berlin

Andrea Grützners Serie Erbgericht ist nach ihrem Entstehungsort benannt. Der Gasthof, der seit über 100 Jahren in der Heimatgemeinde ihrer Familie geführt wird, ist als Räumlichkeit mit vielfältigen Erinnerungen belegt. Doch „die gesetzte räumliche Struktur erzählt nicht von sich aus, es sind unsere Projektionen, die sie einfärben“, sagt die Künstlerin. Analoge Technik verwendend, überblendet sie ausgewählte Raumausschnitte mit farbigen Schatten. Sie überschreibt damit die geschaute Wirklichkeit des Ortes, zum Teil bis zu deren völliger Übersetzung in ein malerisch-grafisches Bild.

Ohne Titel 21, 2019, aus der Serie Erbgericht, Pigment Print, 149,3 x 100 cm, ©Andrea Grützner, Courtesy Robert Morat Galerie, Berlin

Ebene 2 | CHRISTIANE FESER

Partition 141, 2020, Foto Objekt, Unikat, Archival Inkjet Pigment Print, 100 x 140 x 2 cm, © Christiane Feser, Courtesy Galerie Anita Beckers, Frankfurt a.M.

Die abstrakten, reliefhaften Foto-Objekte von Christiane Feser beruhen zunächst auf Elementen aus gefalteten Papieren, welche die Künstlerin herstellt, zu modularen Strukturen zusammenfügt und anschließend – mit Licht und Schatten den Bildraum auslotend – fotografiert. Der zweidimensionale Foto-Abzug des dreidimensionalen Gefüges wird durch Schneiden und Auffalten erneut plastisch bearbeitet. Dabei schreibt sich das fotografische Bild dem Objekt ein und lassen dessen Betrachtung zu einem Vexierspiel zwischen Fläche und Raum werden.

Partition 115, 2018, Foto-Objekt, Unikat, Archival Inkjet Pigment Print, 200 x 140 x 2 cm, © Christiane Feser, Courtesy Galerie Anita Beckers, Frankfurt a.M.

Ebene 3 | MÅRTEN LANGE

Wave / Hotel ruin / Lizard / Birds nest, aus der Serie Chicxulub, 2016, Archival Pigment Prints, je 32 x 24 cm, ©Mårten Lange, Courtesy Robert Morat Galerie, Berlin

Mårten Lange – seit seiner Kindheit fasziniert von der vergangenen Welt der Dinosaurier – reist nach Mexiko, sucht den Chicxulub-Krater auf, wo der Asteroid einschlug, der das Leben der urzeitlichen Wesen beendete. Die Aufnahmen situativ wahrgenommener Tiere und Landschaften, die einem längst Vergangenen nachspüren, stehen kontrastreich der Werkgruppe The Mechanism gegenüber mit Bildern einer heutigen, urbanen Welt, die von einer unpersönlichen gesellschaftlichen Kälte gezeichnet ist.

Melting man, 2017, aus der Serie The Mechanism, Archival Pigment Print, 120 x 90 cm, ©Mårten Lange, Courtesy Robert Morat Galerie, Berlin

Ebene 3 | MORGAINE SCHÄFER

Archiv No. 2303 (Pose), 2016, Inkjet Print, 100 x 80 cm, © Morgaine Schäfer, Courtesy @ fiebach, minninger, VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Archiv No. 2301 (Pose 2), 2016, Inkjet Print, 100 x 80 cm, © Morgaine Schäfer, Courtesy @ fiebach, minninger, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Das Selbstporträt ist ein zentrales Thema in der Kunst von Morgaine Schäfer. Sie präsentiert sich in antiquiert erscheinenden Posen, die der ikonografischen Tradition des Sujets entstammen und sich dadurch geradezu anachronistisch zum „Posing“ digitaler Selfies in Bezug setzen. Eine wesentliche Bedeutung erhalten in ihrer Arbeit alte, gerahmte Dias von Schnappschüssen der Familie: Wie die dinglichen Attribute in der historischen Bildnismalerei erscheinen sie als Verweise auf die persönliche Identität.

explanatory (BWS 1069, Woman with a Cigarette), 2018, 3-teilig, Inkjet Print, je 50 x 40 cm, © Morgaine Schäfer, Courtesy @ fiebach, minninger, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Ebene 3 | JEWGENI ROPPEL

Skelling Michael, aus der Serie Mothar, 2017, Fine Art Print, Maße variabel, ©Jewgeni Roppel

Jewgeni Roppel widmet sich in seiner Arbeit Mothar der Geschichte und Gegenwart Irlands. Auf seiner Reise durch das Land fragt er danach, welche Orte, welche Bauten, welche landschaftlichen Besonderheiten, welche Mythen und Zeugnisse aus historischer Zeit und welche Phänomene der Gegenwart dessen Identität prägen. An Aby Warburgs Bilderatlas Mnemosyne anknüpfend, erzählt er mit seinen Fotografien gleichermaßen exemplarisch wie assoziativ vom kulturellen Selbstverständnis des Landes.

Roots and the Readhead-Girl / Dunlough Castle, aus der Serie Mothar, 2017, Fine Art Prints, Maße variabel, ©Jewgeni Roppel
Ruin, aus der Serie Mothar, 2017, Fine Art Print, Maße variabel, ©Jewgeni Roppel

Hängung #21

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#RUNDGANG


Tjukurrpa, Wangarr
. Traumzeit

Den australischen Mythologien zufolge entstand die Welt wie wir sie kennen in einer Zeit, in der schöpferische Wesen über den Kontinent wanderten und auf ihren Wegen das Land und das Wasser, die vielfältige Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt sowie alle elementaren Erscheinungen entstehen ließen. Auf sie gehen auch die Regeln und Grundsätze zurück, die das Leben der Aborigines bis in die Gegenwart bestimmen.

Der deutsche Begriff „Traumzeit“, der ja einen abgeschlossenen Zeitraum nahelegt, kann nur sehr eingeschränkt übersetzen, was die Begriffe Tjukurrpa in der Sprache der Pitjantjatjara in Zentralaustralien oder Wangarr in den Sprachen Nordost-Arnhemlands beschreiben. Denn sind die Wanderungen der schöpferischen Ahnen auch beendet, so besteht Tjukurrpa oder Wangarr weiter, schließt in sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein.

Die Schöpferahnen bleiben immer gegenwärtig und sichtbar in den unterschiedlichsten Herausbildungen der Natur, gefeiert von den Menschen des Landes in Geschichten, in Liedern und in Zeremonien. Die Überlieferungen verbinden die Menschen mit dem Ort ihrer Geburt, übertragen Verantwortung an die Lebenden für das Wohlergehen des jeweiligen Landes und der auf ihm lebenden Gemeinschaft.

Ebene 1 | Zentralaustralien: Papunya

Kanya Tjapangati, Ohne Titel, 1994, Acryl auf Leinwand, 122 x 183 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©Kanya Tjapangati, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Mick Namarari Tjapaltjarri, Ohne Titel, 1988, Acryl auf Leinwand, 182 x 122 cm, Foto: Ketterer Kunst GmbH Co.KG, ©Estate Mick Namarari Tjapaltjarri, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Der Auftakt der Ausstellung widmet sich der Künstlerkooperative „Papunya Tula Artists“. Sie wurde 1972 in der Regierungsstation Papunya 240 km nordwestlich von Alice Springs gegründet. Mit ihr beginnt die zeitgenössische Malereibewegung der Aborigines in Zentralaustralien.

Die Gemälde greifen bildnerische Elemente auf, die bis dahin nur in vergänglicher Form in geheimen Zeremonien in den Wüstensand gezeichnet oder auf Körper aufgetragen worden sind. Sie beziehen sich auf konkrete Orte und mit ihnen verbundene mythische Erzählungen, die von Wanderungen der Schöpferahnen und ihrem Wirken berichten. Die geheimen Inhalte werden jedoch durch flirrende Muster aus Punkten oder Linien vor der Offenlegung geschützt.

Mick Namarari Tjapaltjarri gehörte zu den ersten Mitgliedern der „Papunya Tula Artists“. Er experimentierte schon früh mit gepunkteten Farbfeldern und linearen Strukturen. Kanya Tjapangati ist seit den 1980er Jahren für die Künstlerkooperative tätig. Die Kreisformen in seinem Bild verweisen auf einen Ort, an dem sich Schöpferahnen aufgehalten haben. In Farbigkeit und Struktur sehr subtil ausgeführte Gemälde stammen von Yukultji Napangati und Doreen Reid Nakamarra. Sie zählen in der jüngeren Generation zu den erfolgreichsten Mitgliedern des Kunstzentrums.

Yukultji Napangati, Ohne Titel, 2012, Acryl auf Leinwand, 153 x 183 cm, Foto: Utopia Art Sydney, ©Yukultji Napangati, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Yukultji Napangati, Ohne Titel, 2008, Acryl auf Leinwand, 183 x 122 cm, Foto: Utopia Art Sydney, ©Yukultji Napangati, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Yukultji Napangati, Ohne Titel, 2001, Acryl auf Leinwand, 91 x 122 cm, Foto: Utopia Art Sydney, ©Yukultji Napangati, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Doreen Reid Nakamarra, Ohne Titel, 2008, Acryl auf Leinen, 137 x 122 cm, Foto: Utopia Art, Sydney, ©Estate Doreen Reid Nakamarra, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Nach der politischen Anerkennung der Landrechte von Aborigines sind im Zuge der Homeland-Bewegung in den 1980er Jahren viele Ureinwohner wieder in ihre angestammten Gebiete gezogen. Während die „Papunya Tula Artists“ ihren Schwerpunkt nach Kintore und Kiwirrkura verlagert haben, gründete sich in Papunya selbst 2007 eine neue Gruppierung. Aus dem Kreis der „Papunya Tupi Arts“ zeigt die Ausstellung ein Gemälde von Doris Bush Nungarrayi.

Doris Bush Nungarrayi, Tjurrpinyi Ikuntji, 2018, Acryl auf Leinen, 122 x 198 cm (Foto: Aboriginal and Pacific Art, Sydney, ©Doris Bush Nungarrayi, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Ebene 2 | Arnhemland

John Mawurndjul, Andartmu, Queen Fish, o.J., Ocker auf Eukalyptusrinde, 220 x 57 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©John Mawurndjul, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Auf Ebene 2 richtet sich der Blick auf Arnhemland. Für die bildnerische Tradition der Region kennzeichnend sind Rindentafeln oder Objekte aus Holz, bemalt mit natürlichen Farben wie Ocker, Holzkohle, Kalk oder weißem Pfeifenton. Die Materialien gehen aus dem Land hervor, das mit seinen felsigen Gebieten, Wäldern, Flüssen sowie der Küste am Meer vom tropischen Klima des Nordens geprägt ist. Hier belegen auch bis zu 18.000 Jahre alte Felsmalereien die lange Geschichte rituell gebundener Kunst in Australien. Ihre Motive und bildnerischen Strukturen, die zwar jünger, aber dennoch mehrere Tausend Jahre alt sind, spiegeln sich noch in zeitgenössischen Werken wider.

Die Kunst Arnhemlands kennt unterschiedliche Stilregionen. Zu den markanten Merkmalen der Arbeiten im Westen – aus der Umgebung um Maningrida –  gehört ein monochromer Hintergrund, in den figürliche, mit feinen Schraffuren (Rarrk) ausgefüllte Motive eingesetzt werden. Ein weiteres Sujet stellen langgliedrige Geistwesen dar, die in der zeitgenössischen Kunst auch als Skulpturen auftreten. Sogenannte „Hollow Logs“ – bemalte, von Termiten ausgehöhlte Holzstämme – gehen auf die Tradition von Baumsärgen zurück. Während die flächenfüllende Gestaltung für die Bilder in Zentralarnhemland allgemein kennzeichnend ist, prägt sie sich im Westen erst in jüngerer Zeit aus. Der Künstler John Mawurndjul hat dabei wesentliche Impulse gesetzt.

Jimmy Njiminjuma, Yawkyawk Spirit Figure, 1994, Ocker auf Eukalyptusrinde, 220 x 57 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©Jimmy Njiminjuma, VG Bild-Kunst, Bonn 2019 // John Mawurndjul, Bark Painting, 2004, Erdpigmente auf Baumrinde, 180 x 65 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©John Mawurndjul, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Hollow Logs von Samuel Namunjdja, John Mawurndul und Ivan Namirrikki, 2004/05, Erdpigmente auf Holz, Höhe 122 bis 143 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©die Künstler, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Mickey Durrng, Liyagawumirr Peoples Clan Design, 9-teilig, 1996, Ocker und Acryl auf Papier, je 105 x 75 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©Mikey Durrng, VG Bild-Kunst 2019

Welche Geschichten der mythologischen Überlieferung und welche abstrakten Muster gemalt werden dürfen, hängt von der Zugehörigkeit zu einem Clan sowie zu einer der beiden Erblinien (Moieties) der Dhuwaoder Yirritja ab. Dem aus Zentralarnhemland stammenden Künstler Mickey Durrng war es vorbehalten, die Clanmuster der Liyagawumirr zu malen, die unter anderem bei Toten-Ritualen auf die Körper von Verstorbenen aufgebracht werden.

Werke aus Ostarnhemland – aus der Gegend um Yirrkala – verweisen in der Ausstellung beispielhaft auf individuelle Wege im Rahmen der Tradition. Das Werk der Künstlerin Nonggirnga Marawili beruht auf Bildrechten und Mustern der Clans ihrer Eltern und ihres Mannes. Seit 2010 verzichtet sie zunehmend auf die sonst in der Region bildbestimmenden Schraffuren und stellt die überlieferten Clan-Muster in der Fläche frei. Arbeiten auf Karton haben Natur- und Wetterphänomene an der Nordküste Australiens zum Inhalt, die auf das Wirken von Schöpferahnen zurückgeführt werden.

Nonggirrnga Marawili, Yurr’yun, 2014, Erdpigmente auf Rinde, 210 x 82 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©Nonggirrnga Marawili, VG Bild-Kunst 2019
Nonggirrnga Marawili, Baratjala / Lightning, 2018, Erdpigmente auf Papier, Maße divers, 67,5 x 55 cm – 76 x 56 cm, Foto: ARTKELCH, Freiburg, ©Nonggirrnga Marawili, VG Bild-Kunst 2019

Ebene 3 | bis 12. Januar | Zentralaustralien: APY und Ngaanyatjarra Lands

Esther Giles, Kuruyurltu – Esther, 2015, Acryl auf Baumwolle, 148 x 179 cm, Foto: ARTKELCH, Freiburg, ©Esther Giles, VG Bild-Kunst 2019

In wiederum starkem Kontrast präsentieren sich Gemälde auf Ebene 3. Mit ihnen richtet sich der Blick nochmals nach Zentralaustralien. Nach dem Vorbild der „Papunya Tula Artists“ sind in weiteren Regionen Künstlerkooperativen gegründet worden. So führen auch Aborigines aus den Sprachgruppen der Pitjantjatjara, Yankunytjatjara und Ngaanyatjarra die Malereibewegung in ihren angestammten Gebieten an den Territorialgrenzen von Süd- und Westaustralien fort. Wie vor allem Gemälde von Yaritji Young, Imitjala Curley aus den APY Lands sowie Esther Giles aus den Ngaanyatjarra Lands zeigen, setzen sie dabei mit ihren kräftigen Farben und expressiven Malstilen deutlich andere Akzente.

Imitjala Curley, Walytjitjata – Ngayuku ngunytjuku ngura, 2016, Acryl auf Belgisch Leinen, 153 x 153 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©Imitjala Curley, VG Bild-Kunst 2019
Yaritji Young, Tjala tjukurrpa – Honey Ant Story, 2016, Acryl auf Leinen, 198 x 198 cm, Foto: Blitz + Pixel, ©Yaritji Young, VG Bild-Kunst 2019

Ebene 3 | ab 19. Januar | THE MAGIC OF BLACK AND WHITE

Im Januar ändert sich die Präsentation auf Ebene 3. Eine Sonderausstellung der Galerie ARTKELCH widmet sich der Verwendung von Schwarz und Weiß in der indigenen Kunst Papua-Neuguineas und Australiens. Dabei stehen Werke von drei Künstlerkooperativen im Vordergrund. Charakteristisch für die Oemi Artists aus Papua-Neuguinea sind Rindenbaststoffe mit kontrastreichen Mustern, die ihren Ursprung in der Schöpfungsgeschichte des Stammes haben und nur von weiblichen Häuptlingen ausgeführt werden dürfen. Dabei werden naturfarbene Stücke oder Streifen auf in Flussschlamm gefärbte Stoffe (oder umgekehrt dunkle Stücke auf hellen Grund) appliziert.

Brenda Kesi (Ariré), Wo’hoohe (Erdwolfspinne), 2009, Rindenbaststoffe natur und gefärbt, 67 x 137 cm, ©Oemi Artists
Djirrirra Wunungmurra, Yukuwa, 2016, Natural Pigment on Wooden Board, 120 x 60 cm, ©Buku-Larrnggay Mulka

Grundsätzlich steht in der Kunst der Aborigines Schwarz oft für das Substanzielle, den materiellen Kern einer Schöpfungsgeschichte. Weiß wird eher als sphärische, geistige Farbe verstanden. Wie unterschiedlich dennoch die Anwendung der beiden unbunten Farben begründet ist, zeigen die beiden weiteren Abschnitte der Sonderausstellung. Die Malerei auf Holz, Baumrinde oder Papier aus Ostarnhemland im Norden Australiens – aus dem Kunstzentrum Buku-Larrnggay Mulka – folgt einer regionalen Tradition, wenn sie sich auf weißen Lehm und Kalk sowie auf schwarze Erdpigmente als natürliche Farben konzentriert. Dagegen unterliegt den Acrylgemälden aus dem zentralaustralischen Kunstzentrum Papunya Tjupi Arts noch ein Impuls aus der Gründungszeit der Kooperative, bei dem die Reduktion der Farbpalette der wirtschaftlichen Situation geschuldet war.

Candy Nelson Nakamarra, Kalipinypa, 2019, Acrylic on Linen, 122 x 182 cm, ©Papunya Tjupi Arts

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#RUNDGANG


Ebene 0 | James Rickard: Master Carver

Das besondere Interesse von Alison und Peter W. Klein an den polynesischen Rindenstoffen ist sicher durch ihre langjährige Auseinandersetzung mit den Bildwerken der Aborigines vorbereitet und wie bei denselben von einer persönlichen Faszination geleitet. Dennoch war es kein direkter Weg, der von Australien zu den polynesischen Inseln und den tapa-Stoffen führte. Vielmehr richtete sich ihr Augenmerk in Neuseeland zunächst auf die materielle Kultur der Maori, die vorwiegend in geschnitzten und gemalten Ornamenten an Gebäuden oder Gebrauchsbjekten sowie angesichts von Körpertätowierungen zum Ausdruck kommt. In Rotorua, südöstlich von Auckland auf der Nordinsel Neuseelands gelegen, fanden sie im Maori Arts and Crafts Institute eine zeitgenössische Einrichtung, in der das traditionelle Kunsthandwerk bis heute fortgeführt wird. Dort kam auch der Kontakt mit dem Meisterschnitzer James Rickard zustande, den sie mit der Herstellung einer Skulptur beauftragten. Sie wurde von Rickard als traditionelle Erinnerungsstele konzipiert und mit Aspekten der deutschen Geschichte verknüpft.

Ebene 1 | Zeitgenössische Malerei

Die Erwartung des Sammlerpaars, wie in Australien so auch in Neuseeland Gemälde mit bildhaften Spiegelungen der traditionellen Kultur des Landes vorzufinden, führte sie indes nicht zu traditionellen Artefakten, sondern zu zeitgenössischen Werken der bildenden Kunst.

Darryn George (*1970) ist in Christchurch in Neuseeland geboren und gehört zum Maori-Stamm der Napuhi. In seiner akademischen Ausbildung widmete er sich der westlichen abstrakten Malereitradition. Erst im weiteren Verlauf des Studiums bezog er seine bikulturelle Identität konzeptionell in seine Arbeit ein. Seit 2003 präsentiert er Gemälde, in denen er abstrakte Malerei sowie bildnerische und sprachliche Elemente der Maori-Kultur zusammenführt.

John Pule (*1962) ist auf der polynesischen Insel Niue geboren und als Kind mit seinen Eltern nach Auckland in Neuseeland gekommen. Er ist Schriftsteller und bildender Künstler. In seinen literarischen Werken, die seit den 1980er Jahren entstehen, spiegeln sich die Erfahrung von Migration und Fremdheit im neuen Land wider. Seinem ersten Besuch der Heimatinsel Niue im Jahr 1991 folgt eine intensive Auseinandersetzung mit deren spiritueller und materieller Kultur, wobei ihm die Rindenbaststoffeeinen wesentlichen Impuls für die Ausformulierung der eigenen Bildsprache vermittelten.

Ebene 2 | Tapa aus Samoa und Tonga

Aus Samoa und Tonga, wo die Rindenbaststoffe noch heute zu besonderen privaten und offiziellen Anlässen gefertigt werden und wichtiger Teil der kulturellen Identität sind, stammen Exponate mit kräftigen, durch Übermalungen akzentuierten Mustern. Auf Samoa werden die Rindenbaststofe als siapobenannt, auf der Basis von Matrizen ornamentiert als siapo elei, von Hand bemalt als siapo mamanu. Rasterförmige Strukturen sind kennzeichnend für beide Formen der Gestaltung.
Eine besondere Bedeutung kam den Rindenstoffen auf Samoa von alters her als Tausch- und Wertobjekt anlässlich von Geburten, Hochzeiten, Todesfällen und bei der Verleihung von Häuptlingstiteln zu. Bis heute gelten sie als herausragendes Geschenk für besondere Gäste oder für im Ausland lebende Familienmitglieder, sind unverzichtbar bei offiziellen und privaten Anlässen

Auf den Inseln des Tonga-Archipels wurden die tapa-Stoffe vorwiegend mit Hilfe von Mustertafeln oder Matrizen koloriert. Die Rindenbaststoffe wurden dabei über die erhabenen Stege gespannt und die Farbe mit getränkten Tüchern aufgebracht. Bei der weiteren Bearbeitung wurden besondere Aspekte der Muster akzentuiert oder weitere Elemente einfügt. Tonga ist die weltweit einzige Region, in der historische Ereignisse bei der Gestaltung von Rindenstoffen eingeflossen sind. So erinnern Spitfire-Darstellungen auf einem Stofffragment aus der Sammlung Klein an die Flugzeuge, welche die tonganische Königin zur Unterstützung der Engländer im Zweiten Weltkrieg erwarb. Rindenbaststoffe haben heute auf Tonga im alltäglichen Gebrauch keine Bedeutung mehr. Als Wertobjekte werden sie jedoch immer noch in großer Zahl und durchaus auch auf Vorrat hergestellt.

Ebene 3 | Niue, Fiji, Futuna

Dietapa-Kunst auf Niue ist nur zwischen 1865 und 1900 belegt. Gemusterte tapa-Stoffe kamen vermutlich erstmals mit samoanischen Missionaren auf die Insel. Die ersten eigenständigen Musterungen sind von tapa-Ponchos bekannt, die nach tahitischem Vorbild geschnitten sind.
Die Rindenbaststoffe aus Niue wurden ausschließlich von Hand bemalt, zunächst mit freien Kompositionen. Seit den 1880er Jahren und möglicherweise unter dem Einfluss einer lokalen Malschule entwickelten sich Bildstrukturen auf der Basis von Rastern. Welche Bedeutung diese Arbeiten im lokalen Kulturkontext hatten, ist bis heute nicht geklärt. Bereits um 1900 ist auf Niue die Herstellung von Rindenstoffen aufgegeben worden. Sie sind aber in Museen und Sammlungen erhalten geblieben und bis heute Inspiration für die Nachfahren.

Auf den Fiji-Inseln war der Gebrauch der Rindenstoffe – hier masi genannt – vielfältig. Sie wurden von Männern als Schamschurz oder Turban genutzt.  Geölt und geräuchert waren sie ein Häuptlingsabzeichen. Sie dienten als Moskitoschutz, aber auch als Fahnen, die Personen oder Waffen bei Tanz, Krieg und Festen schmückten oder als Tauschmedium innerhalb der Fiji-Gesellschaft, mit dem Beziehungen zwischen Häuptlingstümern besiegelt wurden.
Seit Jahrhunderten bestehende Beziehungen zwischen den einzelnen Fiji-Inseln, Tonga und Samoa haben die lokalen tapa-Traditionen beeinflusst. Für die Gestaltung gemusterter Stoffe nutzte man Schablonen, die aus Blättern geschnitten wurden. Mit ihrer Hilfe entstanden meist serielle Ornamente, die mit Streifen oder abstrahierten Naturformen kombiniert wurden.
Auch auf Fiji hat die Bedeutung der Tapa-Produktion abgenommen. Aber bis in die Gegenwart gibt es Anlässe, bei denen große Mengen des Stoffes präsentiert werden.

Die Bewohner von Futuna und seiner Nachbarinsel Alofi sprechen eine dem Samoanischen eng verwandte Sprache und bezeichnen Rindenbaststoffe ebenfalls als siapo. So kann nicht erstaunen, dass auch ein Teil ihrer tapa-Produktion dem samoanischen Vorbild folgt: Von zwei oder mehr Frauen in Gemeinschaftsarbeit hergestellte und miteinander verklebte Stoffe werden über Matrizen bedruckt und dann von Hand ausgemalt. Für die Verwendung als Tanzschurz – bis heute eindeutiges Identitätsmerkmal traditioneller Tanzgruppen – blieb ein unterer Querstreifen unbedruckt und wurde freihändig gestaltet. DieverwendetenOrnamente stehen dabei in ihrem ganzen Duktus in deutlichem Gegensatz zu der mit kräftigen Strichen ausgeführten Übermalung des vorbedruckten Stoffes.
Bei weiteren Mustern haben Flechtarbeiten von den mikronesischen Marshall-Inseln oder auch Teppiche europäischen Ursprungs Anregungen für äußerst differenzierte Bemalungen gegeben, die aus sehr komplexen Kompositionen von Mustern bestehen und zu den variantenreichsten Dekorformen des gesamten Pazifiks gehören.

Hängung #19

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Ebene 0, Ebene 1 und Ebene 2 | 
Enrico Bach

Enrico Bach stellt in der Hängung #19 neue Gemälde vor, die innerhalb des letzten Jahres entstanden sind. Rechteckige Farbfelder, die sich überlagern, bilden das Grundgerüst seiner Kompositionen. Sie überschneiden sich, staffeln sich hintereinander oder scheinen sich übereinander zu schieben, so dass die Illusion eines räumlichen, in seiner Tiefe jedoch nicht fassbaren Gefüges entsteht. Kanten von Flächen, die in einer gedachten unteren Schicht des Bildes liegen, setzen vor allem an den Bildrändern lineare Akzente. Durch Raum- und Lichtwerte des Kolorits verdichtet Enrico Bach die Komplexität seiner gemalten Bildräume. Farbverläufe, die den Eindruck von Schattenbildungen erzeugen, sowie Strukturen, die den Flächen eine scheinbar greifbare Materialität verleihen, lassen gegenständliche Aspekte in seine abstrakte Malerei einfließen.

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - PS Serie
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - PS Serie
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - PS Serie

Der Option unendlicher Variationen begegnet Enrico Bach mit bildnerisch-thematischen Fragestellungen, die in der Hängung #19 in Gemälden aus drei neuen Werkserien ablesbar sind. Bei den Arbeiten der Reihe RS geben große Rasterflächen das Thema vor. In Werken der Reihe HM setzt der Künstler metallisch glänzende Farben und typografische Elemente ein, während sich die Reihe PS durch stärker differenzierte, selbst bildhafte Strukturen charakterisieren lässt.

Ebene 0, Ebene 1 und Ebene 2 | Franziska Holstein

Die künstlerische Arbeit von Franziska Holstein ist in hohem Maße prozessorientiert. Die Gemälde auf Leinwand o.T. (M4, 2012) und o.T. (M2, 16) lassen im dicken Materialauftrag und im Relief der Oberfläche auf eine mehrfache Bearbeitung der kompositionellen Struktur schließen. Werke aus der Serie o.T. (45) entwickeln sich dagegen aus gleichermaßen künstlerischen wie handwerklichen Prozessen. Sie führen zu Platten aus Acrylfarbe, in denen der Bildträger Papier von beidseitig aufgetragenen Farbschichten umschlossen wird.

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - 18 aus ohne Titel 45
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - ohne Titel - L1-7

Das Prinzip des mehrfachen Be- und Überarbeitens erlaubt im Werk von Franziska Holstein Rückgriffe auf bestehende Arbeiten. die zum Fundus, zum Impulsgeber für neue Werke werden. Die Hängung #19 präsentiert aus dem Jahr 2014 eine siebenteilige Serie von Lithografien auf Papier sowie eine 19-teilige Serie von Handoffset-Drucken, die sich auf Teilungsverhältnisse oder formale Strukturen früherer Gemälde beziehen.

Die systematische Arbeitsweise von Franziska Holstein äußert sich nicht zuletzt in zwei neuen Arbeiten, die für die Hängung #19 entstanden sind. Die Wandarbeit o.T. (64) breitet sich in kombinatorischer Gesetzmäßigkeit in der Fläche aus, während die Künstlerin mit der Serie o.T. (FP 3D) erstmals eine dreidimensionale Arbeit vorstellt. Die Installation auf Ebene 2 im KUNSTWERK besteht aus rund sechzig Elementen einer 170-teiligen Serie, die auf einer in sechs Felder gegliederten Fläche und deren Auffaltungen basiert.

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - Installation - Ebene 2

Ebene 3 | Ayan Farah

Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei
Kunstwerk - Sammlung Klein - Nussdorf - Museum - Kunst - Art - Baden-Württemberg - Hängung #19 - Enrico Bach - Franziska Holstein - Ayan Farah -Malerei - Installation - Ebene 3

Ayan Farah definiert in einem Interview ihre Arbeit als malerische, auch wenn sie nicht der üblichen Vorstellung, was Malerei denn sei, entspreche. Grundlage oder Träger ihrer Bilder ist nicht die übliche, im Handel erhältliche Leinwand. Sie benutzt gefundene, oft historische Stoffe, die bereits ihre eigene (Lebens-) Geschichte in sich tragen. Teilweise unterstreichen Fragmente eingestickter Ornamente oder Schriftzüge eine personalisierte Qualität des Materials. Auch in der Wahl der Farbe geht sie einen eigenen Weg. Auf ihren Projektreisen sammelt sie Mineralien, Pflanzen und Erden, die durch den Ort, an dem sie aufgenommen wurden, mit einem spezifischen Charakter aufgeladen und dadurch ebenfalls mehr sind als ein allgemein erhältliches Pigment. Die Arbeit im Atelier gleicht einem chemischen Experiment, da auf die Aufnahmefähigkeit der Stoffe und die farbliche Reaktion gerade beim Zusammenführen verschiedener Substanzen nicht oder nur bedingt Einfluss genommen werden kann. Das trifft auch dann zu, wenn die Künstlerin die gefärbten Stoffe über längere Zeit dem Sonnenlicht aussetzt und sie dadurch wieder bleicht. In der Art des Einfärbens und des Zusammenfügens der Stoffelemente bezieht sich Ayan Farah auf afrikanische kunsthandwerkliche Traditionen, die sich letztlich in ihren Werken mit Elementen westlicher abstrakter Kunst verbinden.